Der sechsjährige Bub war mit Oma und Opa im Zoo gewesen. Einige Tage später saß er an Opas Geburtstag ihm gegenüber und betrachtete ihn, dessen Gesicht mit mehreren Kinnwülsten zum Hals überging. In einer Gesprächspause stellte der Bub laut und klar fest: “Der Opa sieht aus wie ein Orang-Utan.“ Peinliches Schweigen überall, der Waldmensch warf den Löffel in die Suppe und war aufgebracht, der Bub müsse sich für den Übergriff entschuldigen. Auszeit im Nebenzimmer, die aus Köln stammende Tante tröstete den Bub und erklärte ihm soziales Handeln mit der Bemerkung: „Jung, mir denken et alle, ävver mer saren et nich!“ So gestärkt konnte sich der Bub für die Wahrheit entschuldigen.
H.W. Henze hatte wohl keine Tante, die ihm seinerzeit einen solch guten Rat hätte erteilen können, als er sinngemäß sagte, man könne 9/11 unter ästhetischen Kategorien betrachten. Die Sache ist noch zu wenig alt, wenden wir uns einem Ereignis zu, das 95 Jahre älter ist. Im Jahre 1906 brannte zuerst der Turm einer der Hauptkirchen Hamburgs, Sankt Michaelis, dann stürzte sein brennender Rest auf das Dach der Kirche, die auch ausbrannte.
In der damaligen Zeit wurden solche Ereignisse mit einem Extrablatt verbreitet, solchen Sonderausgaben hat Karl Kraus zu Beginn der „Letzten Tage der Menschheit“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Also so auch in Hamburg:
Eines muss man dem damaligen Journalisten zu Gute halten, er war ehrlich, spricht er doch nicht verlogen von der Erschütterung der Hamburger Bürger, sondern nennt den Anblick „schaurig-schön“, so ein Abfackeln sieht man eben nicht alle Tage. Geschieht so etwas heute, dann müssen alle in Betroffenheit erstarren, ein Rückfall in normales Denken und Empfinden kann sich noch nicht einmal Henze erlauben. Dabei „denken et alle“, wie sonst würde nicht am Jahrestag jeweils die Sequenzen gezeigt, in denen das (zweite) Flugzeug in das Gebäude eintaucht, „mer kennen et alle, ävver mer wollen et nochens sinn.“
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