Sonntag, 30. Mai 2021

Wahrlich wir leben in finsteren Zeiten oder: Warum es eine Anmerkung zum besseren Verständnis der Frankfurter Schule 3 nicht geben kann!

Da sitzt Teddie nun angetan mit einem feinen Anzug in irgendeinem Arbeitszimmer und blickt von der Partitur von Schönberg auf, um in die Kamera zu schauen. Er stellt nicht nur einen Intellektuellen mit soziologisch-philosophischem Hintergrund dar, sondern die unterbrochene Lektüre der Partitur weist ihn aus als jemanden, dessen Musikalität nicht in barocker Hofmusik sich austobt, sondern fast zeitgenössisch ist. Das Kettchen im Revers überzeugt davon, marxistische Gedanken plagen ihn nicht dräuend. 

Die von Pantalone eingefärbte Häkeldecke indes beweist, es ist in dieser Welt kaum möglich, der Bewusstseinsindustrie zu entkommen, alle Anstrengung am Begriff wird ununterbrochen konterkariert. Die höchste Konzentration auf das Denkmögliche ist hilflos gegen die permanente Überflutung mit den schalen Nichtigkeiten des Ungeistes der Zeit. Musikalische Momente werden überdeckt von Stunden der Ansicht auf Produkte des Häkelns. Die Schlaufen des Lochwerks lassen die Sicht auf die Unterlage zu, zusammen verdecken sie vollständig den Blick auf das Schöne und Wahre. Es ist schon bitter, kaum denkt man vorne, schon holt einen hinten die Banalität des Gehäkelten ein.

Spott und Satire erweisen sich als schäbig, zu leicht, zu unbemerkt hat jeder sein Häkeldeckchen herumzuliegen. Oder, wie es schon in der Bergpredigt heißt: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? “ (Matthäus 7,3)

Sonntag, 9. August 2020

Von der Klassenkampfparole zur Übermaßkritik

Kürzlich, es war noch vor der Explosion im Hafen, erschien ein Artikel in der FAZ, der versuchte, die Zustände im Libanon zu analysieren bzw. anhand von Beispielen aufzuzeigen. Seine Zweitunterschrift klang so, als stände sie in einer sozialistischen Zeitung, verwundert las man es zwei Mal, es war und blieb ein klassenkämpferischer Aufruf: 
„Die Mittelklasse stürzt ab, die Ärmeren leiden Hunger. Und die korrupte Oberklasse, die an der Misere Schuld ist, gönnt sich den teuren Whisky jetzt schon mittags.“ 
Der Wechsel zwischen abstrakter Feststellung bei der Darstellung der Situation der Unternommenen und der Konkretisierung des Verhaltens der Verursacher ist stilistisch fein und verrät Parteilichkeit.

Offensichtlich hatte der Chef vom Dienst diese Zeilen keinem der Herausgeber vorgelegt, er fand richtig, was der ortskundige Korrespondent da schrieb. Die Herausgeber eines Blattes werden ununterbrochen damit bestraft, die abgesonderten und dann gedruckten Texte sorgfältig lesen zu müssen, rasch wurde der Klassenkampf beendet. Zwar waren nun die unangenehmen Zeilen schon gedruckt, aber im Nachhinein musste alles wieder peinlichst gesäubert werden. Die Onlineverlautbarung wurde nachträglich zensiert, nun heißt es: 
„Der Libanon implodiert. Während Hunger und Angst vor neuem Blutvergießen um sich greifen, bleiben die Schuldigen ihren Gewohnheiten treu.“  
Damit ist nun jegliche Aussage kalmiert – der implodierende Libanon hatte es offenbar auf ein „EX“ abgesehen –, die objektiv beschissene Lage der Unter- und Mittelklasse verwandelte sich in subjektive Ängste, die drastische Schilderung über das Verhalten der „korrupten Oberklasse“ wich einer bräsigen Feststellung. Nicht das System ist falsch, sondern einige wenige halten sich nicht an die Spielregeln, sie haben das „Eiapopeia der Sozialpartnerschaft“ noch nicht verstanden. Dabei begreifen die Herausgeber nicht, dass sie auch nur nützliche Idioten sind – in den Augen derer, die auf der Klaviatur des Finanzkapitalismus ihre Etüden spielen. Sie sind eben keine Schirrmachers, sie sind nur erzreaktionär, aber nicht schlau. Und damit keiner der Anzeigenkunden und Leserbriefschreiber an dem Lapsus sich erinnern kann, wurde ein Bild draufgebappt:


Es scheint ein gewisses Chaos zu herrschen, aber das sind nur junge Leute, die mit ihren chinesischen Motorrollern umeinand fahren; so, als könnte ein tüchtiger Verkehrspolizist die Sache (Chaos im Libanon) mit Umsicht zügig regeln. 

In Wirklichkeit sind es offenbar die gleichen jungen Leute, die seit Tagen immer kräftiger gegen das libanesische System demonstrieren. Das Rumjuckeln mit dem Motorroller besänftigt die nicht mehr. Den Namen des Korrespondenten sollte man sich merken, er heißt Christoph Ehrhardt. Solche Menschen braucht die Welt.

Donnerstag, 25. Juni 2020

Das Programm von Trump

Bisweilen ist ein Bild aussagekräftiger als Worte, die Ziele und Absichten des gegenwärtigen Präsidenten der USA sind eindeutig erkennbar.


Noch zwei Anmerkungen:

Der größte Fehler, den ein bayrischer Beamte jemals beging, war seinerzeit die Verweigerung der Erlaubnis gegenüber einem Vorfahren dieses Menschen, in das Land seiner Väter rückkehren zu dürfen. Hier wäre es nicht mehr geworden als ein Miethai wie Kaußen.  

Viel entscheidender ist jedoch die Hoffnung auf den Geist und die Haltung amerikanischer Offiziere, sie mögen so beseelt sein wie seinerzeit Stanislaw Petrow.

Meint Pantalone (von dem die Idee zur Bildgestaltung stammt): Daß Du, mein lieber Dottore, einmal Hoffnungen auf Militärs setzen würdest, hätte ich nie gedacht.

Samstag, 18. Januar 2020

Padova freres 9

Nun kenne ich Pantalone schon – leider – viele Jahrzehnte, aber so aufgeregt habe ich ihn selten gesehen. Er stürzte in mein Zimmer und konnte zuerst kaum artikuliert reden. Langsam verstand ich ihn, er faselte immer wieder „13 Bilder“, „13 Bilder“, „13 Bilder“! Seine von mir stets mit gelassener Nachsicht betrachtete Sammlerleidenschaft hatte einen riesigen Erfolg gezeitigt, zu verdanken hatte er es einem in Athen ansässigen Auktionshaus, dessen Katalog er durchstöbert hatte. In der Tat, 13 neue Bilder auf einen Schlag hatte er gefunden, normalerweise braucht er dafür zwei Jahre. 

[Beiseite: Ob nun ein griechischer Oberst am 8. Juni 1919 die Treppe des einstigen Club des Chasseurs, nun in Club des Soldats umbenannt, heruntersteigt oder nicht, und ob das nun für über 100 Jahre festgehalten wurde, das ist so wichtig wie der sprichwörtlich in China umfallende Sack Reis, aber Sammler leben eben in einer anderen Welt!]

Ich beeilte mich, diesen Fund als toll zu bezeichnen und streute etwas Salz, indem ich über die sehr groß aufgetragenen Wasserzeichen des Auktionshauses meine Nase rümpfte. Schnell werde er die tilgen, was ich allerdings auch vermutete. Und nun kommt er an, präsentiert 13 gänzlich neue Bilder, zwei von ihm vorgenommenen Zuschreibungen, die nachvollziehbar sind, und eine neue, bessere Version eines schon gezeigten Bildes. Da muss ich wohl ran und das mit Text versehen.


Die "Patris" hatte sich schon zuvor als Transportschiff für griechische Soldaten hervorgetan. Nach dem politischen Schisma während des 1. Weltkrieges war Griechenland den Alliierten beigetreten, hatte aber nur wenig militärische Leistungen erbracht. Um dann beim Siegesmarsch am 14. Juli 1919 mitmarschieren zu dürfen, bedurfte es noch der kriegerischen Tat. Den Alliierten passte die Oktoberrevolution gar nicht, sie unterstützten die Weißen. Der englische Männerfreund von Venizelos deutete an, hier sei eine Unterstützung durch Griechenland angebracht, was angesichts der dort chronisch leeren Kassen nur durch eine nicht allzu lang andauernde Landung in Odessa umgesetzt werden konnte, eben mit der "Patris", die dann auch die Soldaten zurückbrachte. Nun lief dieses Schiff in die Bucht von Smyrna ein, man soll die Danaer fürchten, auch wenn sie keine Geschenke tragen, besonders eben in Kleinasien. Die Voraussetzungen für die Besetzung der Stadt war durch britische Militärs ausgespäht worden, die zur siebten Kolonne gemachten Rumigriechen hatten genügend Leichter parallel zum Kai angetäut, so dass die Schiffe mit ihrem Tiefgang breitseits anlegen konnten. Schon kurz nach dem Anlanden versammelten sich die Schöngegürteten, um eine Uferparade abzuhalten, der Versuch des Leichenfledderns am vermeintlich nun toten „kranken Mann am Bosporus“ hatte begonnen.



Die militärische Gefahrlosigkeit des Unternehmens geht am eindeutigsten daraus hervor, dass schon am ersten Tag der Besetzung sogleich eine Parade – nein, nicht abgehalten – sondern vorgeführt werden konnte, die Unverfrorenheit der Alliierten mitsamt ihrer späten Trittbrettfahrer hatte das eh schon paralysierte Osmanische Reich vollends gelähmt. Die Geschichte weiß über den griechischen Oberst weder militärisch noch menschlich Angenehmes zu berichten, sogar die Engländer fanden sein Verhalten anrüchig. Hinter ihm salutieren Pfadfinder, sicherlich griechischer Nationalität, damals von allen Beteiligten für ihre paramilitärischen Zwecke missbraucht. 


Doch bald stieß man an die Grenzen der gefahrlosen Ausdehnung, denn die Italiener hatten schon den Südwesten Kleinasiens bis Ephesos besetzt. So zeigte man Flagge, aber nicht demjenigen gegenüber, dessen Ausdehnungsdrang man auf britischen Wunsch begrenzen sollte, sondern man erklomm die Höhen des Ortes, in dem einst Heraklit über die Menschen und die Flüsse nachgedacht hatte.


Die Italiener ihrerseits zogen sich nach Kuşadasi zurück, später einigten sich beide Okkupanten auf eine Grenze entlang des Mäanders. Hinten ist die namensgebende Vogelinsel zu sehen. Der griechische General Paraskevopoulos trat in der Aktion des kleinasiatischen Abenteuers militärisch nicht sonderlich in Erscheinung, er hatte andere Vorteile. Seine Eltern stammten aus Smyrna, er verstand den dortigen Dialekt der Rumigriechen. Beim Theater wird bei einem ähnlichen Verhalten auf der Bühne der betreffende Schauspieler Rampensau genannt, eine Rampensau spielt die Zuschauer an, ständig um Applaus bemüht. Hier nun schreitet er – man erkennt ihn immer an seiner Stattlichkeit – unter den Klängen des Musikkorps seine Truppen ab.   


Die griechischsprechenden Bewohner Smyrnas mochten ihn, er war nicht so streng wie Aristidis Stergiadis, der schon drei Monate vor dem Beginn der Besetzung zum Hochkommissar für Smyrna ernannt worden war und in seiner kretischen Zeit gelernt hatte, mit Muslims umzugehen. Jovial widersprach Paraskevopoulos nicht den Rumigriechen, die ihm zuliebe allerlei Festivitäten veranstalteten, auf einer lümmelt er sich neben dem Erzbischof in seinem Sessel. Beliebt sein wollen ist keine Tugend für einen General.   


Solange die griechischen Truppen in Smyrna herumlungerten und nicht das besetzte Areal immer weiter ausdehnen mussten, stellten sie wiederholt ihre Präsens zur Schau. Beliebt war dabei die Verbundenheit mit den Alliierten zu zeigen, allerdings durften sich nur britische Offiziere dafür zur Verfügung stellen, die Franzosen hatten begonnen, sich von dem griechischen Unternehmen zu distanzieren. Aber auch ohne fremde Offiziere gab es genügend Gelegenheiten, in Smyrna den damals vorherrschenden klerikal-militärischen Aspekt der griechischen Politik zu dokumentieren.


Das Unterkapitel des Buches von Clausewitz, das mit dem berühmten Wort überschrieben ist: „Der Krieg ist die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, endet mit dem Satz: „ ..; denn die politische Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel ohne den Zweck gedacht werden.“ – Eine frühe Formulierung des Grundsatzes des „Primats der Politik“, der eben auch dialektisch den Grundsatz in sich birgt, dass Militärs nicht vorrangig politisch zu agieren haben. Anders war es hingegen im damaligen Griechenland, die Offiziere spalteten sich in „monarchistische“ und venizelistische“ auf mit der Folge, dass der Dicke nach der Abwahl von Venizelos gehen musste, hier grüßt er noch einmal zum Abschluss von seiner Residenz. Die Abberufung hatte für ihn große Vorteile, so konnte er nicht für das Desaster des Unternehemens verantwortlich gemacht werden, wie dies mit Rachsucht seinen Kollegen geschah, in Griechenland versteht sich. Die Residenz des Königs, der sich in ungeschickter Weise in das Okkupationsvorhaben einspannen ließ, ist rechts hinter dem Zaun zu sehen, sie lag im Vorort Cordelio, übersetzt Löwenherz. Heute bewachen die Evzonen in Athen das Parlament, damals in Smyrna den König. Das Foto ist nicht als ein solches der Gebrüder gekennzeichnet, aber nach Motiv und Gestaltung haben die Protagonisten dieses Blogs kaum Zweifel, es ihnen zuzuordnen.


Mangels Glocken benötigen die Kirchen der Orthodoxie keinen Turm, aber den hochaufragenden Minaretten der umgebenden Moscheen in Smyrna musste etwas entgegen gesetzt werden, also hatte die Hauptkirche dort einen immer wieder abgelichteten Turm, der nach dem Brand und Einsturz in Smyrna in dem athenischen Vorort Nea Smyrna wieder auferstand. Hier nun ist nur der Unterbau des Originals zu sehen, noch feiern die Rumis, ostentativ und ahnungslos. Trotz der immerwährenden Geldknappheit waren die Okkupationstruppen technisch relativ gut ausgerüstet, aber sie mussten – wie später die Amerikaner in Vietnam und dann die Nato in Afghanistan – bitter erkennen, Kampfkraft ist nicht allein Funktion der Ausrüstung, sondern vor allem die Umsetzung innerer Einstellung, diese hatte bei den Griechen damals allein Plastiras, auch wenn er später in den Wirren der griechischen Politik unterging.

So, nun bleibt abzuwarten, wie lange es dauert, bis das weitere Sammeln von Pantalone wieder zu einem Post reicht.  

Donnerstag, 26. September 2019

Wie man der Welt verloren geht und sie wieder findet

Da reisen also die Protagonisten dieses Blogs wieder einmal nach ASIA MINOR. Sie suchen nach byzantinischen Kirchenruinen und haben zum Zwecke der Konzentration als einzige Lektüre neben Übersetzungen der Vita des Sankt Nikolaus nur die vorzügliche Ausgabe des „Faust“ nebst der genüsslichen Kommentierung durch Albrecht Schöne dabei. Miteinander reden ist den beiden versagt, zu gut kennen sie sich, es wären unerquickliche Selbstgespräche. Goethe Sprache macht nachdenklich, Schönes Ausführungen stimmen heiter. Diese Heiterkeit wird dadurch gesteigert, dass auf einem kleinen Gegenstand sämtliche Symphonien Haydns (und auch Mozarts) gespeichert sind, die so während des notwendigen Autofahrens die Öde des Aufwands für die jeweilige Ortsveränderung mildern. (Die fast identische Speicherkapazität des mobilen Fernsprechgerätes wird nicht genutzt, da auf den Fußmärschen der Umgebung gelauscht wird, denn in Kleinasien gibt es beispielsweise noch Spatzen.)

Die radebrechenden Gespräche mit den türkischen Menschen sind in ihrer Bandbreite endlich, liebenswert, aber keine Nachdenklichkeit erzeugend. Die Einsamkeit der Stätten bedingt seltene Kontakte zu Gleichgearteten, sie werden dann in Englisch geführt. Die selbst auferlegte Pflicht zur Dokumentation verschafft täglich Konzentration auf die deutsche Sprache, die Korrespondenz mit einem einschlägigen Wiener Topografen erfordert angesichts des mickrigen Laptops Fingerspitzengefühl; jedoch ist solch ein Gerät wegen der Möglichkeit, Gelände in Google Earth oder Bing Maps vorab zu erkunden, unumgänglich, es erspart nämlich Umwege.

Die Speicherkapazität solch kleiner Stücke nutzend, hat Dottore vorsorglich die von Pantalone schon seit geraumer Zeit optimierten Bilder mitgenommen in der Hoffnung, die Zeit des frühen Dunkelwerdens dahingehend zu nutzen, einige Blogs - vornehmlich über Kleinasien - abzusondern. Mal sehen, ob das Vorhaben umgesetzt wird.