Nun kenne ich Pantalone schon – leider – viele
Jahrzehnte, aber so aufgeregt habe ich ihn selten gesehen. Er stürzte in mein
Zimmer und konnte zuerst kaum artikuliert reden. Langsam verstand ich ihn, er
faselte immer wieder „13 Bilder“, „13 Bilder“, „13 Bilder“! Seine von mir stets
mit gelassener Nachsicht betrachtete Sammlerleidenschaft hatte einen riesigen
Erfolg gezeitigt, zu verdanken hatte er es einem in Athen ansässigen
Auktionshaus, dessen Katalog er durchstöbert hatte. In der Tat, 13 neue Bilder
auf einen Schlag hatte er gefunden, normalerweise braucht er dafür zwei Jahre.
[Beiseite: Ob nun ein griechischer Oberst am 8. Juni
1919 die Treppe des einstigen Club des Chasseurs, nun in Club des Soldats umbenannt,
heruntersteigt oder nicht, und ob das nun für über 100 Jahre festgehalten
wurde, das ist so wichtig wie der sprichwörtlich in China umfallende Sack Reis,
aber Sammler leben eben in einer anderen Welt!]
Ich beeilte mich, diesen Fund als toll zu bezeichnen
und streute etwas Salz, indem ich über die sehr groß aufgetragenen
Wasserzeichen des Auktionshauses meine Nase rümpfte. Schnell werde er die
tilgen, was ich allerdings auch vermutete. Und nun kommt er an, präsentiert 13
gänzlich neue Bilder, zwei von ihm vorgenommenen Zuschreibungen, die
nachvollziehbar sind, und eine neue, bessere Version eines schon gezeigten
Bildes. Da muss ich wohl ran und das mit Text versehen.
Die "Patris" hatte sich schon zuvor als
Transportschiff für griechische Soldaten hervorgetan. Nach dem politischen
Schisma während des 1. Weltkrieges war Griechenland den Alliierten beigetreten,
hatte aber nur wenig militärische Leistungen erbracht. Um dann beim
Siegesmarsch am 14. Juli 1919 mitmarschieren zu dürfen, bedurfte es noch der
kriegerischen Tat. Den Alliierten passte die Oktoberrevolution gar nicht, sie
unterstützten die Weißen. Der englische Männerfreund von Venizelos deutete an,
hier sei eine Unterstützung durch Griechenland angebracht, was angesichts der
dort chronisch leeren Kassen nur durch eine nicht allzu lang andauernde Landung
in Odessa umgesetzt werden konnte, eben mit der "Patris", die dann auch die
Soldaten zurückbrachte. Nun lief dieses Schiff in die Bucht von Smyrna ein, man
soll die Danaer fürchten, auch wenn sie keine Geschenke tragen, besonders eben in
Kleinasien. Die Voraussetzungen für die Besetzung der Stadt war durch britische
Militärs ausgespäht worden, die zur siebten Kolonne gemachten Rumigriechen
hatten genügend Leichter parallel zum Kai angetäut, so dass die Schiffe mit ihrem Tiefgang breitseits anlegen konnten. Schon kurz nach dem Anlanden versammelten sich die
Schöngegürteten, um eine Uferparade abzuhalten, der Versuch des
Leichenfledderns am vermeintlich nun toten „kranken Mann am Bosporus“ hatte
begonnen.
Die militärische Gefahrlosigkeit des Unternehmens
geht am eindeutigsten daraus hervor, dass schon am ersten Tag der Besetzung
sogleich eine Parade – nein, nicht abgehalten – sondern vorgeführt werden
konnte, die Unverfrorenheit der Alliierten mitsamt ihrer späten
Trittbrettfahrer hatte das eh schon paralysierte Osmanische Reich vollends
gelähmt. Die Geschichte weiß über den griechischen Oberst weder militärisch
noch menschlich Angenehmes zu berichten, sogar die Engländer fanden sein
Verhalten anrüchig. Hinter ihm salutieren Pfadfinder, sicherlich griechischer
Nationalität, damals von allen Beteiligten für ihre paramilitärischen Zwecke
missbraucht.
Doch bald stieß man an die Grenzen der gefahrlosen
Ausdehnung, denn die Italiener hatten schon den Südwesten Kleinasiens bis
Ephesos besetzt. So zeigte man Flagge, aber nicht demjenigen gegenüber, dessen
Ausdehnungsdrang man auf britischen Wunsch begrenzen sollte, sondern man
erklomm die Höhen des Ortes, in dem einst Heraklit über die Menschen und die Flüsse
nachgedacht hatte.
Die Italiener ihrerseits zogen sich nach Kuşadasi zurück,
später einigten sich beide Okkupanten auf eine Grenze entlang des Mäanders. Hinten
ist die namensgebende Vogelinsel zu sehen. Der griechische General Paraskevopoulos
trat in der Aktion des kleinasiatischen Abenteuers militärisch nicht sonderlich
in Erscheinung, er hatte andere Vorteile. Seine Eltern stammten aus Smyrna, er
verstand den dortigen Dialekt der Rumigriechen. Beim Theater wird bei einem
ähnlichen Verhalten auf der Bühne der betreffende Schauspieler Rampensau
genannt, eine Rampensau spielt die Zuschauer an, ständig um Applaus bemüht. Hier
nun schreitet er – man erkennt ihn immer an seiner Stattlichkeit – unter den
Klängen des Musikkorps seine Truppen ab.
Die griechischsprechenden Bewohner Smyrnas mochten
ihn, er war nicht so streng wie Aristidis Stergiadis, der schon drei Monate vor
dem Beginn der Besetzung zum Hochkommissar für Smyrna ernannt worden war und in
seiner kretischen Zeit gelernt hatte, mit Muslims umzugehen. Jovial widersprach
Paraskevopoulos nicht den Rumigriechen, die ihm zuliebe allerlei Festivitäten
veranstalteten, auf einer lümmelt er sich neben dem Erzbischof in seinem
Sessel. Beliebt sein wollen ist keine Tugend für einen General.
Solange die griechischen Truppen in Smyrna herumlungerten
und nicht das besetzte Areal immer weiter ausdehnen mussten, stellten sie
wiederholt ihre Präsens zur Schau. Beliebt war dabei die Verbundenheit mit den
Alliierten zu zeigen, allerdings durften sich nur britische Offiziere dafür zur
Verfügung stellen, die Franzosen hatten begonnen, sich von dem griechischen
Unternehmen zu distanzieren. Aber auch ohne fremde Offiziere gab es genügend
Gelegenheiten, in Smyrna den damals vorherrschenden klerikal-militärischen
Aspekt der griechischen Politik zu dokumentieren.
Das Unterkapitel des Buches von Clausewitz, das mit
dem berühmten Wort überschrieben ist: „Der Krieg ist die bloße Fortsetzung der
Politik mit anderen Mitteln“, endet mit dem Satz: „ ..; denn die politische
Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel
ohne den Zweck gedacht werden.“ – Eine frühe Formulierung des Grundsatzes des „Primats
der Politik“, der eben auch dialektisch den Grundsatz in sich birgt, dass Militärs
nicht vorrangig politisch zu agieren haben. Anders war es hingegen im damaligen
Griechenland, die Offiziere spalteten sich in „monarchistische“ und
venizelistische“ auf mit der Folge, dass der Dicke nach der Abwahl von Venizelos
gehen musste, hier grüßt er noch einmal zum Abschluss von seiner Residenz. Die Abberufung hatte für ihn große Vorteile, so konnte er nicht für das Desaster des Unternehemens verantwortlich gemacht werden, wie dies mit Rachsucht seinen Kollegen geschah, in Griechenland versteht sich. Die Residenz des Königs, der sich in ungeschickter Weise in das Okkupationsvorhaben
einspannen ließ, ist rechts hinter dem Zaun zu sehen, sie lag im Vorort Cordelio,
übersetzt Löwenherz. Heute bewachen die Evzonen in Athen das Parlament, damals in
Smyrna den König. Das Foto ist nicht als ein solches der Gebrüder gekennzeichnet,
aber nach Motiv und Gestaltung haben die Protagonisten dieses Blogs kaum Zweifel,
es ihnen zuzuordnen.
Mangels Glocken benötigen die Kirchen der Orthodoxie
keinen Turm, aber den hochaufragenden Minaretten der umgebenden Moscheen in
Smyrna musste etwas entgegen gesetzt werden, also hatte die Hauptkirche dort
einen immer wieder abgelichteten Turm, der nach dem Brand und Einsturz in Smyrna
in dem athenischen Vorort Nea Smyrna wieder auferstand. Hier nun ist nur der
Unterbau des Originals zu sehen, noch feiern die Rumis, ostentativ und ahnungslos.
Trotz der immerwährenden Geldknappheit waren die Okkupationstruppen technisch
relativ gut ausgerüstet, aber sie mussten – wie später die Amerikaner in
Vietnam und dann die Nato in Afghanistan – bitter erkennen, Kampfkraft ist
nicht allein Funktion der Ausrüstung, sondern vor allem die Umsetzung innerer
Einstellung, diese hatte bei den Griechen damals allein Plastiras, auch wenn er
später in den Wirren der griechischen Politik unterging.
So, nun bleibt abzuwarten, wie lange es dauert, bis das
weitere Sammeln von Pantalone wieder zu einem Post reicht.