Montag, 29. Juni 2015

Kein zweiter Ochi-Tag

Es ist nachgerade peinlich und scheint von geringer Belesenheit zu zeugen, wenn sich Dottore bisweilen an den gleichen Quellen labt und sie zitiert. Jedoch bedingt die Schäbigkeit der Zeitläufte den Rekurs auf längst Bekanntes, die Langweiligkeit und der Wiederholungszwang der Politik verhindert neues Denken über sie, das dann kurzweilig wäre. Zuerst nun das Zitat:   

Marx beginnt seine Schrift „Der 18te Brumaire des Louis Napoleon“ mit den Wörtern: 

“Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Caussidière für Danton, Louis Blanc für Robespierre, die Montagne von 1848-1851 für die Montagne von 1793-1795, der Neffe für den Onkel. Und dieselbe Karikatur in den Umständen, unter denen die zweite Auflage des achtzehnten Brumaire herausgegeben wird!
Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen.“


Das letzte Mal wurde das Zitat aufgewärmt, als es galt, eine sich Altkommunistin Wähnende in ihre Schranken zu weisen, nun gilt, einem sich als Jungkommunisten Betrachtenden (und Betrachteten) die Vergeblichkeit seines Handelns aufzuzeigen.

Aus einigen Bildern in diesem Blog geht hervor, dass seine Protagonisten sich in jüngster Vergangenheit des Öfteren und Längeren in Griechenland herumgetrieben haben. Unmittelbar nach dem Erkennen der Herkunft wurde Beiden von ihren griechischen, sofort in Larmoyanz verfallenden Gesprächspartnern „Merkäll !“ entgegengestammelt, was nach wenigen Tagen prompt mit „Turkokratia !“ beantwortet wurde. Fast immer ergab sich daraufhin ein Gespräch, in dem die griechischen Teilnehmer doch nicht umhin kamen, ihre Neigung zu erfassen, immer andere für die eigene Situation verantwortlich zu machen. Bis zu dem neueren finanziellen Desaster wurde der Kritik mangelnder Wirtschaftskraft die 500-jährige Herrschaft des osmanischen Reiches entgegengesetzt, allerdings nur im eigenen Verständnis der Griechen. Denn diese Ausrede ist falsch. Seit dem Ende der Turkokratie sind gelinde 180 Jahre vergangen. Die tüchtigen Seefahrer auf den ägäischen Inseln unterhielten – zum Osmanischen Reich gehörig – im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert eine der größten Handelsflotten, die teilweise unter zaristischer Flagge segeln durfte. Allerdings wurde den Veränderungen im 19. Jahrhundert nicht Rechnung getragen. Aber grundsätzlich können sie es also, die Griechen, was dann später auch wiederum Onassis und Niarchos bewiesen haben.

Wenn es in einer kleinen bis mittleren Stadt in Griechenland 2008 drei Schuhgeschäfte für Kinder bis ungefähr 6 Jahren gab, man die jeweiligen Betreiber nicht für kaufmännische Idioten hält, dann ergibt sich daraus beispielhaft, dass das gesamte Volk weit über seine „Verhältnisse“ gelebt hat. Ein Kardinalfehler eines Handeltreibenden ist es, Umsatz mit Gewinn zu verwechseln, Griechenland verwechselte vorhandenes Geld mit frei verwendbarem Geld, Kreditmittel mit Ertrag. Natürlich kann man den Kreditgebern vorwerfen, wieder einmal auf den „Mexikoablauf“ hereingefallen zu sein, der darin besteht, dass Bank D denkt, wenn die Banken A, B und C Kredite gewähren, nun, dann kann auch unser Haus dies machen. Aber der Kreditnehmer kann sich darauf ebenso wenig berufen wie der indische Vergewaltiger auf die angebliche Leichtfertigkeit des Opfers. Die Griechen haben die Kredite verbraten, die daher nicht sehr schmackhafte Soße ist vorab ihre Speise.

Nun waren es aber nicht schuhkaufsüchtige Mütter, die die Misere eingebrockt haben, sondern wie es in diesem Wirtschafts- und Sozialsystem üblich ist, haben sich die jetzigen Eigentümer der Immobilien in Paris, London und New York die wirtschaftlichen Scheinerträge angeeignet. Und, wie es in diesem Wirtschafts- und Sozialsystem üblich ist, wollen nun die unvorsichtigen Banken A bis D von allen Griechen ihr Geld zurück. Die Immobilienbesitzer werden also im gleichen Maße wie die Schuhkäuferinnen, wie es in diesem Wirtschafts- und Sozialsystem üblich ist, zum Zahlen herangezogen, die ersten machen es – wenn überhaupt – widerstrebend, die zweiten können es nicht. Die dem Klientelismus verhafteten Cliquen, die bislang die Regierungen stellten, hatten kein Konzept außer „Doing by Durchwursteling“. Die Schuhkäufer begehrten auf, es war wohl unumgänglich, dass die murrenden, aufmuckenden Bürger eine andere Politik durchsetzen wollten. Verständlich, aber noch kaum geeignet, die selbsteingebrockte Situation zu lösen. Außenstehende, eben Journalisten, hielten die Gruppierung, die es anders machen wollte, schon für links. Solch eine Klassifizierung ist schnell bei der Hand, wenn jemand nicht untertänigst bereit ist, die Normen zu akzeptieren, die in diesem Wirtschafts- und Sozialsystem üblich sind. Ein Konzept aber, außer der verbal erklärten großen Weigerung, hatte auch sie nicht, sie war dem darbenden Volk nah, aber die Differenz zum Populismus ist schwer einzuhalten. Wahlredensartige Ausführungen machen bei den Banken A bis D und deren Gerichtsvollziehern, den Regierungen der anderen Länder, wenig Eindruck.  

Hinzu kommt eine den Südländern eigene Haltung, die darin besteht, Würde zu beanspruchen statt sie zu leben. Würdig haben die Griechen fremdes Geld verbraten, jede wie auch immer geartete Rückzahlung würde diese Würde beeinträchtigen. Damit wir uns recht verstehen, die neueren Hilfsleistungen waren nichts weiter als Durchlaufgelder, die Staaten gaben den Griechen frisches Geld, damit diese den Banken alte Zinsen zahlen konnten. Aber alle haben keinerlei Konzept entwickelt, wie aus Griechenland ein Staat werden kann, der den Ansatz hat, durch eigene Wirtschaftskraft sein weiteres Dasein zu gestalten. Hinzu kommt eine sehr spezifische Zockerqualität, nie ist etwas endgültig, so ein ganz klein wenig muss doch der Vertragspartner beschissen worden sein, heute sag ich „Ja“, aber morgen erkläre ich, es sei nur ein „Höchstwahrscheinlich“ gewesen. Privat ist das dann als liebenswert abzutun, aber die Banker aus den anderen Ländern, selbst viel garstigere Zocker, haben für solche Wippchen kein Verständnis.

Der Rückzug auf den vermeintlichen Willen des Volkes ist lächerlich: Wer von seiner Mami gefragt wird, ob seine Schulden etwa bezahlen wolle oder nicht, der schaut sie vertrauensvoll an und traut sich dann „Nein“ zu sagen. Die Mami wird’s schon richten. Dabei haben die Griechen einmal mit großer Würde „Nein“ gesagt. Als der großsprecherische Mussolini es seinem Kumpanen Hitler gleichtun wollte, plante er von dem schon unterworfenen Albanien aus eine Besetzung der strategisch wichtigen Punkte Griechenlands und ließ dies in Form eines Ultimatums dem damaligen griechischen Ministerpräsidenten vorlegen. Kurzgefasst, er antwortete großartig und würdevoll mit „OCHI“, was das gesamte Volk einte und zu einem für den Gernegroß aus Rom peinlichen Desaster führte. Dieser Ochitag, jeweils am 28. Oktober gefeiert, wird sich als würdiges Ereignis nicht wiederholen, sondern es wird eine allenfalls klebrige Erinnerung daran verbleiben; die nächste Clique wird kommen, willfährig und ohne innere Würde. Der deutsche Verhandlungsführer aber, erfahren in der Verschleierung kleiner Geldbeträge an der Kassenwartin vorbei, hat die Chance verpasst, einen zwar zuerst bitteren, dann aber tragfähigen Schäubleplan vorzulegen, dass können dann doch nur wirklich kluge Politiker, wie dies Herr Marshall einer war.


So ist es im Kapitalismus: Alle bemühen sich krampfhaft, die Erkenntnisse von Mohr und General zu bestätigen. Dottore macht da keine Ausnahme, auch er hat keine Lösung, es ist schon schwierig mit dem Richtigen im Falschen.

Mittwoch, 17. Juni 2015

Padova Freres 5

Dieser Schlaumeier, der fast immer die Texte verfasst, hatte Unrecht oder aber er verkannte die Hartnäckigkeit von Pantalone. Denn emsiges Gewinnstreben gelingt auf Dauer eben nur mit einer kontinuierlichen Haltung, da ist das Erhaschen von Aufmerksamkeit wie in der Wissenschaft – oder in dem, was sie meint zu sein – ein nur kurzsichtig errungenes Ergebnis. Seine Prophetie, es gelängen keine weiteren Fänge von Padova-Freres-Bildern im Netz, ist wie alle menschlichen Versuche, die Zukunft vorherzusagen, nichts weiter als „eitel Schall und Rauch“. Daher überlässt Pantalone ihm auch nicht die fällige Kommentierung.


Also die Italiener waren drauf und dran, den gesamten Südwesten Kleinasiens an sich zu reißen. Ihren Verbündeten, Großbritannien und Frankreich, passte das nicht, aber das Streben nach der umfassenden Mittelmeerherrschaft trieb sie an. Neben der realen militärischen Besetzung wurde auch ein Propagandafeldzug begonnen, so das Hissen der italienischen Tricolore an Weihnachten 1918. Ein halbes Jahr später sind sie schon in Kusadasi und bauen offenbar Landungsplätze aus. Höchste Zeit für ihre Weltkriegsverbündeten, den Griechen die Umsetzung ihrer nicht weniger spinneten „Megali Idea“ zu ermöglichen.



Woher stammen die Brüder? Eine Affinität zum Italienischen ist vorhanden, auch zu jüdischem Geschehen, das relativ belanglos war, gibt es Verbindungen. Aber wir sollten uns mit ihrem Auftreten und Verschwinden begnügen – einem Kometen gleich; übrigens nur wenigen ist gegeben, so etwas zwei Mal zu sehen, gelungen ist es einem, der im Gegensatz zu seinem Namen älter wurde.

Wieder einmal übernehmen Pfadfinder die Funktion der Protagonisten, zumindest verkörpern sie den Willen, sich den anderen anzugleichen, ein fragwürdiger Ehrgeiz, allerdings bei „Pfadfindern“ eher harmlos. Das zweite Bild wurde schon in Padova 2 gezeigt, hier nun einen besseren Abzug, er hat den Vorteil, dass der Gegenstand des Begehrens der 20 Feldspieler zu sehen ist.


Die Zahl der Photographen wird in Smyrna 1919 nicht unbegrenzt groß gewesen sein. Da liegt es nahe, bei Bildern des gleichen Ereignisses dann Vermutungen anzustellen, wenn deren Ergebnis zumindest plausibel erscheint. Wäre es nicht naheliegend, dass der Photograph, der das linke Bild geschossen hat, dann weiter am Kai bis zum Hotel Kraemer gegangen ist, um ein weiteres zu machen? Das Betrachten des rechten Bildes ist eine Einladung zur Zustimmung, auch dies stammte von den Padova-Freres. Damit der Leser leichter einwilligt, ist es mit der üblichen Inschrift der Gebrüder versehen worden.


Pantalone bedauert es grundsätzlich nicht, sich in Militäruniformen nicht auszukennen, obwohl die Interpretation des linken Bildes durch das Gegenteil erleichtert würde. Also muss wieder mit der Methode des Vermutens gearbeitet werden. Die weißgekleideten Herren dürften italienische Seeoffiziere sein, ihnen stehen Matrosen gegenüber, die wahrscheinlich der gleichen Marine angehören. Die dunkel uniformierten Herren rechts sind offenbar griechische Offiziere, der Uniformträger in der Mitte dürfte einen Offiziersrang in den britischen Streitkräften innehaben. Man schüttelt sich die Hände, der Weg zu einem griechisch-italienischen Ausgleich wird geebnet, er führte zur Grenze der Interessensphären im Mäandertal.
Wieder wurde ein Türke missbraucht, ahnungslos steht er, an den Hosen erkennbar, vor seinem Gefährt, einer „anatolischen Nachtigall“ – dieser Name wurde solchen Gespannen wegen der Quietschlaute zuteil. Nun muss er mit seinen Ochsen die Rückständigkeit verkörpern, ein in unseren heutigen Augen schales Unterfangen, wäre doch der Gegenstand der Modernität heute ein begehrtes Museumsstück;  den drei Grinsern auf dem Wagen war mitsamt dem Photographen die Raschheit der eigenen Musealität nicht geläufig.


Das linke Bild feiert in der Benennung des Ausflugslokals nach Mersinli die damalige Errungenschaft der griechischen Marine, die heute noch existiert, den Panzerkreuzer Georgios Averoff.  Jetzt liegt er als einer der letzten Erhaltenen seiner Art im Hafen von Phaleron und lässt die griechischen Besucher von vergangener Macht träumen. Tja, die Ausgaben des griechischen Staates für seine Wehrkräfte waren immer schon zu hoch, aber schuld waren die anderen, früher die Turkokratia, heute Märkell; wirkliche Souveränität schließt die Einsicht in eigene Fehler ein. Wer sich jedoch in neoliberale Kredite stürzt, kann kaum sozialistisch zurückerstatten, es sei denn, er verfällt Illusionen.

Über das rechte Bild ist bereits im Post „Tarih, Tarih“ berichtet worden, hier aber nun die rekonstruierte Fassung.


„Nein, Dottore, nichts darfst Du anfügen!“