Mittwoch, 26. März 2014

Optische und andere Wahrheiten

Wenn man älter wird, sollte man rechtzeitig beginnen, seine Unterlagen durchzusehen. Ach, was hat sich alles angesammelt. Vieles ist mit intensiven Erinnerungen verknüpft, die jedoch kaum kommunizierbar sind; die Erläuterungen sind so umfassend nötig, dass selbst gutwillige Nachkommen nach geraumer Zeit nicht mehr zuhören, zu individuell ist eben die eigene Geschichte. Also sollte man damit beginnen, seinen Erben nicht zu viel Mist zu hinterlassen. Denen fällt es dann schwer, harsch zu entsorgen.

Dottore lebte in der Nachkriegszeit – bedingt durch die Beschränkung von Wohnraum und dessen Heizbarkeit – mit seinen Verwandten eng zusammen. Mangels anderer Unterhaltungsmöglichkeiten wurden die alten Alben öfters betrachtet. Als im Mai 1975 eine Tante starb, schaffte es Dottore nicht, die Alben mit den Urlaubsreisen 1931 und 1932 nach Spindelmühle und Kühlungsborn wegzuwerfen. Nun stehen sie seitdem unangesehen immer noch herum, dazu dann noch der eigene Schrott. Soll man sie in den elektronischen Orkus stecken, also scannen und dann wegschmeißen? In eine bewegliche Festplatte mit 2 TG passt viel Geschichte, die aber letztlich nur aus unerheblichen Geschichtchen besteht. Man ist sich selbst das Maß der Dinge, aber schon die eigene Ehefrau sieht dies – gottlob – anders.

Diese Klage hatte Pantalone des öfteren vernommen und will auch etwas zusteuern. Als er noch ausgiebig in der Dunkelkammer herumwerkelte, da hat er sich von einem S-W Negativ zwei Abzüge gemacht, die er gleichsam als Beleg für die Subjektivität der abgebildeten Wahrheit aufbewahrte. Er nahm im Dezember 1973 eine recht gefledderte Mühle südlich von Bremen auf. Diese Bilder will er bewahrt wissen, was Dottore ausnahmsweise versteht.


Die Kühe und das flache Land bestätigen den Ort der Aufnahme, Norddeutschland. Die Durchrostung der eisernen Jalousieklappen ist das Muster an Vergänglichkeit. Der weiße Himmel generiert fast einen Scherenschnitt.


Nun möchte man rasch in einen regensicheren Unterstand, denn auf diesem Bild bricht binnen Sekunden ein Unwetter aus. Woher kommen die Telegrafendrähte, wo sind die vielen feinen Löcher in den Jalousieklappen geblieben? Pantalone glaubt sich zu erinnern, dass es keine Sonne schien, aber regnerisch wäre es nicht gewesen. Die Wahrheit, nichts als die reine Wahrheit? Das ist eine Chimäre. Schon bei Hegel kann man in der Phänomenologie des Geistes nachzulesen:

Auf die Frage: was ist das Jetzt antworten wir also zum Beispiel: das Jetzt ist die Nacht. Um die Wahrheit dieser sinnlichen Gewißheit zu prüfen, ist ein einfacher Versuch hinreichend. Wir schreiben diese Wahrheit auf; eine Wahrheit kann durch Aufschreiben nicht verlieren; ebensowenig dadurch, daß wir sie aufbewahren. Sehen wir jetzt, diesen Mittag, die aufgeschriebene Wahrheit wieder an, so werden wir sagen müssen, daß sie schal geworden ist.

Ach, der Schorsch war schon ein guter Eskamotierer.

Und was ist mit der Wahrheit, fragt Pantalone. Sie kann auch durch Abbilden nicht verlieren, aber gleichwohl schal werden, oder regnerisch, oder norddeutsch.


In Memoriam  Gerd Roellecke, den ewigen Rechtshegelianer.

Montag, 24. März 2014

Tebartz und kein Ende

Immer wieder stößt das Thema auf, nicht genug können sich die von der Konfession her Unbeteiligten an der Causa ereifern, man ahnt bei der Lektüre ihrer Artikel, dass den Verfassern fast Schaum vorm Maul steht. Ach, wie gerne geben sie sich empört!

In der Zeit nach dem Ende des weströmischen Reiches war es um die Staatlichkeit in dem ehemaligen Reichsgebiet schlecht bestellt, denn die meist germanischen Stammesherrscher konnten zwar ihre ungestümen Heerhaufen lenken, waren jedoch zu einer Verwaltung ihrer Herrschaftsgebiete außer Stande, gemessen an der bis dahin vorhandenen römischen Administration. In diesem Vakuum trat nun eine Institution in Erscheinung, die sich gerade erst bildete, die Kirche. Sie hatte über die bischöfliche Vernetzung einen überregionalen Zusammenhalt, zudem war sie schon aus Gründen der eigenen Lehre um das Wohl ihrer Schäflein bedacht. Daher geschah es des Öfteren, dass Männer zu Bischöfen geweiht wurden, die zuvor kein Priesteramt bekleidet hatten, sondern sich durch Organisationsvermögen auszeichneten. Die Menschheit inklusive der Kirche ist nicht schlecht damit gefahren.

Wer ist zu einem Bischofsamt geeignet? Bei Lehrer(n)(heute meist –innen) muss jemand, der fast begnadet unterrichtet, noch lange keinen guten Rektor(in) einer Schule abgeben. Ein Bischof steht einer geistlichen Einrichtung vor, er muss diese verwalten, nicht nur den Firmlingen einen Klaps geben. In Deutschland hat sich ein Brauch herausgebildet, Professoren für Theologie zu Bischöfen zu machen. Gelehrsamkeit, konkret die Fähigkeit zu dogmatischem Denken, ist nur sehr bedingt eine Qualifikation für das Bischofsamt. Umsicht, Tatkraft, Verwaltungsfähigkeiten, Festigkeit gepaart mit Milde, Loyalität trotz innerem Widerspruch, wenn möglich Charisma, alles dies braucht ein Oberhirte.

Wenn  Dottore sich die Limburger Misere ansieht, dann erkennt man einen dem Gesichtsausdruck nach asketischen Menschen, der gemäß des Peterprinzips befördert wurde. Festzuhalten bleibt hier, dass die Auswahl dieses Asketen zum Bischof nicht nur mit ursächlich ist, sondern auch mit schuldig an dem kommenden Desaster gemacht hat. In dieser Stufe der Inkompetenz wandte der frische Bischof sich zum Verderben des Bistums und seiner Person an jemanden, der Erfahrung zu haben schien, an den um Jahrzehnte älteren Generalvikar. Der persönlich vermögende Vertreter bestimmte durch das, was beide als seine Erfahrung betrachteten, die Geschicke des Bistums. Oskar Wilde, so glaubt sich Dottore zu erinnern, hat einmal gesagt, „manche Leute halten das, was sie 30 Jahre lang falsch gemacht haben, für Erfahrung“.

Man sollte den Asketen – obwohl gerade kein Brückenbauer – nach einem Abschlusspontifikalamt im Dom zum Leiter der vatikanischen Bibliothek machen, einen hemdsärmeligen Arbeiter im Weinberg des Herren zum Bischof ernennen, dem ehemaligen Generalvikar die Pension kürzen, und insgesamt erkennen, dass der Vorgänger Kamphaus ein Glücksgriff für das Bistum war. Denn die Schwierigen sind die Besseren, die Aalglatten die Unangenehmen, auch dem Herrn!


In Abwandlung: Bene fecit, qui nunc cito fecit.

Der Versuch ist strafbar

Kontinuität ist für die in ihr lebenden Menschen eine Selbstverständlichkeit, nur eine Betrachtung von außen kann sich über sie wundern. Für uns Deutsche besteht eine Kontinuität seit mindestens 1871. Das Kaisereich verging, Dottores Großvater war weiter Postbeamter der Reichspost. Die Weimarer Republik wurde zerstört, sein Gehalt wurde ihm weiterhin ausbezahlt. Das Dritte Reich wurde unterworfen, der längst pensionierte Oberpostrat half wieder mit, die Oberpostdirektion, zuerst am Ort des amerikanischen Hauptquartiers in Wiesbaden, dann in wieder in Frankfurt aufzubauen. Nach der Gründung der Bundesrepublik wurde dem Pensionär ungebrochen die Pension auf sein Postscheckkonto überwiesen. Gewundert hat er sich darüber zu keinem Zeitpunkt.

Selbst wenn man sich als Altachtundsechziger als Linksorientiert betrachtet, dann ärgert man sich bei der intensiveren Lektüre des Feldzuges nach Westen 1940 darüber, dass Hitler die Pause vor Dünkirchen anordnete, obwohl ganz klar ist, dass ohne sie eine eigene Schulzeit unter nationalsozialistischen Umständen gedroht hätte. Die spontane Identifikation mit der Gemeinschaft ist das primäre, erst eine Reflektion schafft die dringend notwendige Differenz. Ob diese allerdings bei Gemeinschaften überhaupt möglich ist, erscheint sehr zweifelhaft, die Distanz zur eigenen Geschichte und der aller Anderen dieser Gemeinschaft ist für den einzelnen unangenehm, für ein Kollektiv zu schmerzlich.

Russland wird als ein Land betrachtet, das seit dem Ableben der Sowjetunion neu entstanden sei. Neu ist dabei allenfalls die Fähigkeit einiger Weniger gewesen, sich rasch und schamlos Teile des bisherigen Volksvermögens einzuverleiben. Diese Neumilliadäre sind kaum schützenswert, sie werden allenfalls von ausländischen Kräften gestützt, die sich gerne genauso verhalten hätten. Geblieben ist der zaristische Despotismus und die gleiche Vergangenheit des Großteils der Sowjetunion, der sich nun Russland nennt. Die strategische Lage eines Landes ändert sich durch innenpolitische Umwälzungen kaum, die Geschichte Russlands ist durch wenige Grundziele geprägt.

Bis 1945 hat Russland aus eigenem Antrieb das Ziel verfolgt, endlich einen Hafen an einem warmen Meer zu haben. Ausgreifende Erweiterungen des eigenen Machtbereiches geschahen bis dahin immer in südlicher und östlicher Richtung, nur bei den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert war eine Westausdehnung vorhanden, die jedoch von den westlichen Anrainern (Preußen und Habsburg) gebilligt wurden, zumal sie an der Beute beteiligt waren. Nach dem Trauma von 1942 ff. war es nicht verwunderlich, dass der damalige Führer „Russlands“ sich einen „cordon sanitaire“ schaffen wollte, der, anders als das gleiche Gebiet zuvor, mögliche Gegner aus dem Westen abpuffern sollte. Die Idee der „Ausweitung  der Weltrevolution“ ist ein Produkt der Ideologie, sie beflügelte allenfalls die sich kommunistisch wähnenden Parteimitglieder dieser Anrainerstaaten.

Der Kalte Krieg war eine glänzende Erfindung, weil er eine Auseinandersetzung zwischen zwei Mächten ermöglichte, ohne dass unmittelbar Menschen starben – von den Stellvertreterkriegen abgesehen. Der Kapitalismus erwies sich als belastbarer als der „Real existierende Sozialismus“, letztlich verlor die Soffjetunion (in der Diktion des Kalten Kriegers Adenauer) dieses Wettrüsten. Das aber veränderte die Sicherheitsbedürfnisse Russlands nicht. Natürlich geben sich Militärbündnisse seit eh und je defensiv, aber sowohl den Nordvietnamesen wie den Afghanen wurde zum Verhängnis, dass sie kein Coca Cola trinken und keine Jeans tragen wollten – wie lange wird es dauern, bis in Afghanistan Jeans für die erste Welt zusammengenietet werden?

Ein Blick auf die Karte lässt manches verständlicher werden, wobei sich wieder einmal offenbart, dass Verständnis im Grunde nur bedeutet, die Gedanken des Anderen nachvollziehen zu können, nicht zu billigen.


So sah für die Sowjetunion die Welt in Europa 1973 aus.


Das änderte sich erheblich, bis 2013 war die defensive NATO den Russen erheblich auf den Pelz gerückt. Auch ohne Paranoia erfordern solche Veränderung die Aufmerksamkeit der Herrschenden, auch nicht demokratisch legitimierte Staatsmänner können denken. 


So drohte sich in den Augen des Machhabers Russlands die Situation zu verändern. Das Engagement der EU ist eben nicht nur ein wirtschaftliches, sondern es gibt offen eine militärische Komponente dieser Union. À la longue wäre ein Eintritt des EU-Mitgliedes Ukraine üblich und naheliegend gewesen. Dabei ist die reale Neutralität einiger Staaten nicht gewürdigt, der Vertrieb von Panzern mit Raubkatzennamen an derartige Neutrale lässt gewisse Zweifel aufkommen.

Nun versuchen sich westliche Journalisten in Putinpsychologie, genauso wie ihre Vorgänger seinerzeit Kremlastrologie betrieben haben. Dottore sagt: Wer als Machthaber Russlands nicht rechtzeitig die Vernatosierung der Ukraine verhindert, der gehört wegen politischer Untreue, sprich Landesverrat, bestraft. Alles andere in Schmonzes.

Die EU hat es versucht, Putin war nicht so blöd, wie die dumpf Agierenden es gehofft hatten. Nach § 23 StGB ist der Versuch bei gewissen Straftaten strafbar, bestraft werden allerdings Menschen, die sich einer Despotie widersetzten, bestimmte Tendenzen dabei, die über national weit hinausgehen, dämpfen das Mitgefühl. Selbstverständlich hat auch die Ukraine die Kontinuität, sich von Grossrussland abzusetzen, die jahrhundertelange Einbeziehung in den gemeinsamen Machtapparat drückt sich noch in der Abwendung aus. 

Donnerstag, 6. März 2014

Kriege führen - Revolutionen anzetteln

Es ist nicht überraschend, aber letztlich immer wieder interessant, wie sich eine politische Haltung in einem Satz offenbart. Die FAZ war jahrzehntelang eine keifende Konservative, seit geraumer Zeit hat sie das Keifen abgelegt, aber nur das.

Der böse Wolf war beim ersten Versuch, der Geißlein habhaft zu werden, ohne jegliche Camouflage, er hatte keinen Erfolg. Beim zweiten Mal hatte er viel Kreide gefressen, um seiner Stimme ein lieblicheres Timbre zu geben, aber seine schwarze Pfote verriet ihn. Diese verbarg er dann unter Teig und Mehl, immerhin konnte er daraufhin sechs der sieben Geißlein fressen, weil eben ein Wolf Wolf bleibt.

Nun gibt es keinen erzreaktionären F.K. Fromme mehr, dafür einen Welterklärer wie Schirrmacher, dessen Mund beim Sprechen leichte Kreidestaubwolken entfleuchen. Wer sich im Fremdschämen üben wollte, der hätte mal seine Eloge auf seine frühere Schule lesen sollen.

Die schwarze Pfote jedoch schimmert immer wieder durch, denn wer in dem Wolfpelz sitzt, denkt wölfisch, ist letztlich zur perfekten Camouflage unfähig. Hält er doch sein verschrobenes Weltbild für richtig, kann also kaum verstehen, warum schwarze Pfoten nicht anziehend sind.

Jüngst wurde in einem Aufsatz des Hans Carl von Carlowitz gedacht, der der Erfinder der Nachhaltigkeit sein soll. In dem Artikel stand der Satz: „Dazu musste er keine Kriege führen und keine Revolutionen anzetteln.“

Man erfährt also dadurch, dass Kriege etwas großartig Gestaltetes sind, gibt es doch einen Führer in ihm. Die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist eine Führungsaufgabe, die Verstand und Umsicht erfordert. Zwar haben wir Deutsche bei dem letzten angezettelten Krieg trotz des entsprechenden Namens des Geranten nichts von wirklicher Führung gemerkt, aber einer Festen Sicht auf die Geschichte bleibt die FAZ verhaftet.

Revolutionen dagegen werden nicht mit einer Niederschrift auf dem großen Blatt der Geschichte eingeleitet, sondern auf kleinen Papierchen, die wir ansonsten nur als Folge der Misshandlung von Kritikerblöcken kennen. Abwertend spricht man bei einem Konvolut von Unterlagen meist von Zettelkram, Ungeordnetes, Unüberlegtes, gar Falsches befindet sich auf den winzigen Blättchen. Gesellschaftliche Umwälzungen erscheinen so als unrühmliche Ereignisse, wahrscheinlich auch deswegen, weil sie nicht so viel Leid wie die Kriege verursachen. 

Veränderungen in der Gesellschaft durch eine Vielzahl von Bürgern sind Konservativen ein Graus. Der Einzelne schafft das durch seine Visionen und Tatkraft besser, meinen die Ewiggestrigen, Lernresistenz ist eben eine der Vorrausetzung für Konservatismus. In Analogie zu der Ausrichtung des lange Zeit erfolgreichen Österreichs möchte man da sagen: 

SCRIPTA GERANT ALII, TU MISERABILIS UNIVERSA TACE!