Mittwoch, 12. September 2012

Sebah 15 und Griechenland


„Also ich finde, du drückst dich davor, nun endlich diese vorab letzte Bilderserie von oder über Sebah anzufertigen.“
„Gut Ding will Weile haben!“
„Da stehen dir die Bilder nun schon Wochen zur Verfügung, und du schreibst über politische Sachen, Bilder kommen außer der dämlichen Küchentüre nicht vor.“
„Hast du keine Bilder mehr von Sebah?“
„Ich nehme doch schon Rücksicht auf dich. Die meisten gibt es aus Ägypten, aber das interessiert dich doch nicht, aber auch von türkischen Stätten habe ich noch so einiges.“
„Mir würde aus Ägypten gefallen, die Straßenbilder der einzelnen Photographen miteinander zu vergleichen, eine Serie über die Türkei steht noch aus, dann wäre über die Verwendung der Bilder von Bonfils bei Theodor Wiegand in archäologischen Büchern etwas aufzuzeigen, das haben wir schon vor ganz langer Zeit angekündigt.“
„Pläne, Pläne, nichts als Pläne. Jetzt geht’s darum, Serie 15 von Sebah fertigzustellen.“
„Du machst Druck, das beflügelt mich nicht.“
„Schreib etwas über die Nike der Athener, da brauchst du keine Flügel, mein zartbesaiteter Dottore! Los, jetzt ran an den Speck!“


Diese Aussicht werden in Zukunft nur einige wenige Auserwählte genießen können, und auch nicht mehr das Gleiche sehen. Manoles Korres hat dort nicht nur wiederherstellend, sondern auch forschend wiederaufgebaut. Also nicht nur schlichte Anastelose, sondern auch eine Fülle neuer Erkenntnisse, so beispielsweise die Richtplatte. Jeweils zwei dienten dazu, die einzelnen Trommeln der Säulen – Oberseite der unteren und Unterseite der oberen – einander anzupassen mit der schier unglaublichen Genauigkeit von 1/1000 Millimeter, feststellbar an der hauchdünnen Rötelschicht. Zwischenzeitlich ist die Peristasis wieder aufgebaut, die Wände des Parthenon wurden aus den herumliegenden Orthostaten und sonstigen Brocken und neu gewonnenen Steinen aus den alten Brüchen wieder hochgezogen. Nur ist fraglich, ob auch die Fenster neben der Zugangstür zu sehen sein werden, dazu müssen die Wände erheblich aufgestockt werden, mehr als wohl die abgesegnete Anastelose zulässt. Aber bei der genauen Untersuchung der großen und hohen Randmauer der Akropolis haben die emsigen Anastelisten noch Teile des Tempels entdeckt, die dort eingemauert waren, also wenigstens insoweit nicht neue.


Für das nächste Bild hat sich Sebah einfach um sich selbst gedreht, schon konnte er die Propyläen nebst Frankenturm ablichten, in anderen Sprachen heißt er Venezianischer Turm. Auf dem Bild sieht man, dass auf der Akropolis damals das herumliegt, was man in Südhessen Gelersch nennt; für die Anastelisten wahrscheinlich zu Tränen rührende Reliquien, die heute nun aufgefädelt, miteinander verbabbt und mit neuem Stein aufgepeppt werden. Reliquienkult ist und bleibt die Beschäftigung mit dem Surrogat; rechte Soziologen und Tourismusmanager denken eben an die „Masse“, vergessend, dass sie sie selbst bilden. Im Hintergrund ein leeres Tal in Richtung Piräus, die in der Bildmitte sichtbare Brücke könnte für die Piräusbahn gebaut worden sein. Der Pnyx grüßt vom linken Seitenrand.


Was haben die Athener nicht alles unternommen, um für immer siegreich zu sein. Der Nike (eigentlich eine Sonderform der Athena) haben sie die Flügel weggenommen, um sie in Athen zu halten. Mit solchen Maßnahmen kann man jedoch nicht das Glück zwingen, zumal wenn man in Hybris verfällt, das Unternehmen Syrakus war deren Ausfluss; auch hatten sie nicht „Faust“ gelesen und wussten daher nicht, „wie sich Verdienst und Glück verketten“, das fiel den athenischen Toren nicht ein. Wenn man scharfe Ohren hat, dann kann man den  Niketempel summen hören, er säuselt „Auferstanden aus Bastionen“ vor sich hin, singen kann  er es nicht, denn zu oft seit 1836 ist er immer wieder aufs Neue zusammengepuzzelt worden. Zuerst haben der Archäologe Ross und die Architekten Schaubert und Hansen seine Steine aus der türkischen Bastion vor den Propyläen geklaubt und ihn dann am alten, engen Platz zusammengesetzt. Darüber haben sie ein Buch geschrieben, dessen großformatige Bilder biedermeierliche Kunstwerke sind, allerliebst, der Zartheit des Tempels angemessen. Die nächsten beiden Male später wusste man alles eben viel besser.

Der Sockel des Tempels ist ein mehrfach ummantelter Wehrturm aus mykenischer Zeit, an einer Stelle ist – von den Treppen der Propyläen aus zu sehen – für einen Blick auf die alten Mauern eine Aussparung gelassen worden. Oben war ursprünglich ein kleines Heiligtum, dessen Reste unter dem Tempel vorhanden, aber nicht zu besichtigen sind. Dieser Platz, also die Deckfläche des Turmes, war der zugewiesene Baugrund. Das Problem, auf kleinsten Raum ein ansprechendes Bauwerk zu errichten, hat der Architekt großartig gelöst.


Höhlen üben auf viele Menschen eine eigenartige Faszination aus, die Dottore nicht nachvollziehen kann. Dunkel, kühl und feucht empfindet er nicht als besondere Reize, feucht, warm und pulsierend ist etwas anderes. Je nun, also werden Höhlen zu mystischen Orten, alles und jedes kann man in sie hineingeheimnissen. In Höhlen nahe deutscher Städte haben meist berüchtigte Räuber oder Wilderer gehaust, in Athen hat man Sokrates in diese Keller der dort früher stehenden Häuser verbannt. Die letzte Handlung dieses gewitzten und widerborstigen Philosophen war die Sorge um einen zu opfernden Hahn, gerade als wollte er das Fehlurteil über ihn damit kassieren. Die Griechen hatte viele Heroen, meist forsche Städtegründer, aber Odysseus und Sokrates waren wirkliche Helden.


Diese letztlich spät-byzantinische Kirche ist den Heiligen Theodoren geweiht, die in der westlichen Kirche zu einem Theodor verschmolzen sind. Er soll ein Bruder des Heiligen Georg gewesen sein, gehört also zu der Garde der soldatischen Heiligen, die, statt in der Schlacht zu sterben, lieber als Märtyrer ihre Tapferkeit zeigten. Es ist eine der typischen Kreuzkuppelkirchen, die erbaut wurden, als die byzantinische Kunst schon erstarrt war. Alles war festgelegt, für jede auszumalende Ecke stand nur die kanonisch festgelegte Heiligenfigur oder das Ereignis aus dem neuen Testament als Motiv zur Verfügung, da schleicht sich dann doch eine gewisse Langweile ein. Aber äußerlich sind sie durch das Kästelmauerwerk angenehm anzuschauen, zumal, wenn antike Spolien eingefügt sind.


Neben der Tomate und der Kartoffel ist die Agave eine der angenehmen Errungenschaften, die aus Amerika stammen. Sie wächst manchmal mehrere Jahrzehnte so vor sich hin, bis ihr einfällt, sie müsse zur Erhaltung ihrer Art nun mal doch blühen. Diese Periode hat Sebah eingefangen, die Agaven scheinen regelmäßig angepflanzt zu sein. Da haben die Amerikaner sich den europäischen Gebräuchen angepasst: Schon in der Antike hatte man parallel der Längsseiten des Tempels Pflanzengruben in den Felsen geschlagen, um – präzise bezogen auf die Säulenstellung –  dort mit dem Grün von Gewächsen den Hephaistos zu erfreuen, dem der Tempel geweiht war, mit Myrten und Granatapfelbäumen hat man das anderenorts auch so gemacht.


Zuerst war in Daphni ein Heiligtum für Apollo, das wurde in frühchristlicher Zeit getilgt, um einer Kirche Platz zu machen, allerdings wurden die Steine weiterverwendet. Um die Jahrtausendwende erneuerte man den Bau, er ist der Kern des heutigen Gebäudes, zugleich wurde das anliegende Kloster errichtet. Nach der Eroberung Moreas durch die Franken kamen deren Mönche, Zisterzienser, in den Besitz des Klosters. Die vielgeschmähte Turkokratia führte jedoch dazu, dass wieder orthodoxe Mönche das Kloster besetzen konnten. Erst als diese den Kampf um die nationale Identität und Befreiung zu arg betrieben, wurden sie nach 350 Jahren verjagt. All das haben die dortigen Mosaike überstanden, aber das Erdbeben von 1999, das andererseits zu einer Annäherung der gleich geplagten Nationen führte, setzten ihnen zu. Mal sehen, was alsbald wieder zu bewundern ist.


Über die als Unsitte bezeichnete Übung, Gegenstände der Umgebung mit Handmalereien zu überziehen, herrschen unterschiedliche Auffassungen vor, je nach dem, ob man Hauseigentümer ist oder nicht. Bei der Betrachtung unserer Städte fällt die zunehmende Gleichartigkeit des Aussehens auf, die Gestaltung der Stadtbilder wird denen überlassen, die die Kohle haben, also dürfen Douglas, Deichmann und Konsorten dort sich austoben. Andere Menschen sind zur Darstellung ihrer Sicht der Dinge nur an ausgewählten Bauwerken zugelassen, meist dann, wenn sie suspekt in der Achtung der Bürger sein sollen wie die Berliner Mauer. Tags mit dem breiten Eding sind überall zu sehen. Dabei wird es fast immer als lästig angesehen, wenn der Einzelne – wie in der Nachkriegszeit der anonyme, allgegenwärtige Killroy – versucht, seine kümmerliche Existenz dadurch zu überhöhen, dass er markiert, also glaubt, sich mit seinem Namen verewigen zu müssen. Wird der Grafitteur dann später berühmt, dann lässt die Marke den Bürger erschauern, so das goethische Gekratze in Straßburg, hier die byronschen Runen in der Ante des Tempels zu Sunion.

Also ihr Sprayer werdet berühmt wie Harald Naegeli! Mir gefallen Eure Werke, weil sie anders aussehen als die immer gleiche Konfektion der fetten Händler. 


Nur der Tempel mit seinen monolithen Säulen ist von der alten Herrlichkeit dieser Stadt übrig geblieben. Schon früh machte sie den Schritt aus der Adelsherrschaft, der – wie beim Übergang zu demokratischen Gemeinwesen häufig – den wohl notwendigen Umweg über die Tyrannis nahm. Die schwarz-rote Keramik dieser Stadt war vor der attischen führend. Jedoch stand sie immer zwischen den Antipoden Athen und Sparta, wobei deren Gegensatz meist nicht der zwischen Demokratie und völkischer Monarchie war, sondern ein Kampf um die Hoheit einschließlich der Machterstreckung. Mochte sie sich auch Jahrhunderte durchlaviert haben, 146 vor Chr. war Schluss, die Römer zerstörten die Stadt, bis auf den Tempel. Die Stätte lag 102 Jahre „wüst und leer“, erst dann besann sich ein Römer, ein gewisser Julius Cäsar, sie wieder aufbauen zu lassen, zu seinem Lob versteht sich. Es ist also eine römische Trümmerstätte, sogar noch mit einem Amphitheater für die neuen Herren, die das garstige Geschehen dort liebten.



Was Melbourne, Paris, Wimbledon und New York für die Tennispieler heute sind, also der Grand Slam, wenn man überall siegt, das waren für die griechischen Athleten Olympia, Delphi, Isthmea und Nemea. Damals wie heute gab es Berufssportler, also immer schon die Negation des Gegensatzes von Homo Faber und Homo Ludens. Ehrgeiz wird eben durch Geldgewinn angestachelt. Wer sich dann über Doping aufregt, hat die Regeln dieses Gesellschaftssystems immer noch nicht verstanden. Erster wird man nur mit allen Mitteln, das ist bei Volkswagen genauso wie bei Contador.

Die Sucht oder der Druck zur Anastelosis hat auch hier zu einer Vermehrung der aufrecht stehenden Säulen geführt, auch die Amerikaner konnten sich nicht widersetzen. 1962 reckten sich wie einst nur drei Säulen empor, als Dottore dort nächtigen wollte. Er legte seinen Schlafsack unter das Epistyl, ein Erdbeben nicht fürchtend. Und wenn doch? Dann wäre die Nachricht, „deutscher Student von Säule erschlagen“ doch die Verkürzung des Daseins wert; ach, immer diese Todessehnsucht der Deutschen!



Der Kriegsgewinnler Schliemann büßte die anrüchige Weise seines Gelderwerbes kompensatorisch mit der Hinwendung zur Wissenschaft ab. Die Erträge seiner früheren bedenkenlosen Raffgier ermöglichten es ihm nun, „am jeweiligen Ort seines Interesses eine Grabungslizenz zu kaufen“. Seiner Hellenophilie gab er durch die Heirat mit einer jungen Griechin statt, genauso wie er zuvor eine Russin geheiratet hatte, um seine Geschäfte in deren Heimat abzusichern. Das Bild muss 1876 gemacht worden sein, heute sieht eine 24-jährige Frau anders aus als die abgebildete Sophia Schliemann. Sie darf die Ausgrabung des Grabes leiten, das nach Klytämnestra benannt wurde. Die eigentlichen Arbeiter (Wer baute das siebentorige Theben?) stehen scheu im Tholos, dessen Kraggewölbe noch nicht wiederhergestellt ist, so wie der Bau heute zu sehen ist. Für wirklich beachtenswert hält Dottore das Kymation rechts am Sturz, das ein Vorläufer des dorischen sein könnte, die Dorer aber waren noch gar nicht zu ihrer Wanderung aufgebrochen. 



Was macht man, wenn man (fast) unausweichlich Opfer einer Nötigung geworden ist? Dauert die Zwangslage an, so erscheint es opportun, solange darüber zu schweigen. Das Gegenteil macht die Theodor-Wiegand-Gesellschaft; um ihre Bedeutung zu unterstreichen, stellt sie ihre finanzielle Leistung zugunsten der Errichtung einer Säule des Zeustempels in Olympia heraus, die zu den Olympischen Spielen 2004 in Athen errichtet werden musste. Alle vernunftbegabten Wesen waren sich darüber einig, dass der mit Muschelschalen durchsetzte Kalkstein eine Anastelosis nicht zulässt, das Ergebnis ist gleichwohl technisch gelungen, ansonsten verhunzt dieser unverputzte Solitär die Ruine. Sie hat den gleichen Charme, wie Perry´s Victory Monument in der Put-in-Bay in Ohio, ungeschlacht und isoliert.

Der Preis für die Weitergewährung der Grabungserlaubnis ist hoch gewesen. Das aufgewendete Geld wäre für Brandschutzmaßnahmen in der Umgebung der Stätte zur Sicherung vor Waldbränden richtiger angelegt worden. Heute nun schimmert die Zwangssäule durch das Grün. Es gemahnt an das Verhältnis vom Eigentümer und Nutzer, von der Möglichkeit zur Impertinenz durch Eigentum.



Paul Baron des Granges war ein Nachfahre französischer Adliger, die nach Preußen geflohen waren, er lebte seinerzeit auf seinen Gütern in Griechenland. Seine Aufnahmen können mit denen der besten damalige Berufsfotografen wetteifern. Zu sehen ist der Sturz des inneren Tores.

Dottore war zuletzt im September 2009 in dem kreisrunden Zwinger zwischen äußerem und innerem Tor, durch den eine wenig benutzte Straße führt. Beim Passieren fiel ihm die akustische Qualität des Bauwerkes auf. Also stellte er im Mittelpunkt des Zwingers den Mietwagen ab, öffnete dessen 4 Türen, jede Türe hatte einen Lautsprecher. Aus ihnen erklang nun die Symphonie Nr. 100 von Haydn. Dottore saß am Rand und genoss es. Während der gesamten Symphonie kam kein Auto, lediglich ein Touristenehepaar, das ihn scheu taxierte. Man sollte dort mehr Konzerte veranstalten.


Die Vorstellung, die Griechen unterhielten große Reedereien, ist durch die Nachkriegsabläufe geprägt, durch Namen wie Onassis und Niarchos. Aber schon weit vorher waren die Griechen mächtige Reeder, so zur Zeit der Turkokratia, als die Inseln in der Ägäis zum Osmanischen Reich gehörten. Damals unterhielten die dortigen Inselgriechen eine Handelsflotte, die als Folge des Schwächelns des „kranken Mannes am Bosporus“ zuerst eine eigene Flagge hatte und dann das Recht erwarb, unter russischer Flagge zu fahren. Sie beherrschte die Handelsschifffahrt des östlichen Mittelmeeres. Daher sind auf dem Bild solch viele Schiffe zu sehen. Heute läuft man Syros gerne ein, wenn man eine Patenthalse gefahren hat und deren Folgen zu beseitigen sind.

Pantalone fragt: „Das Letzte verstehe ich nicht; warum hast Du ein Bild von Syros haben wollen?“

Dottore meint dazu, die Bedeutung möge im Arkanbereich verbleiben, der Skipper verstände den Satz allerdings schon.