Freitag, 28. Oktober 2011

Kollektives Verleugnen

Der sechsjährige Bub war mit Oma und Opa im Zoo gewesen. Einige Tage später saß er an Opas Geburtstag ihm gegenüber und betrachtete ihn, dessen Gesicht mit mehreren Kinnwülsten zum Hals überging. In einer Gesprächspause stellte der Bub laut und klar fest: “Der Opa sieht aus wie ein Orang-Utan.“ Peinliches Schweigen überall, der Waldmensch warf den Löffel in die Suppe und war aufgebracht, der Bub müsse sich für den Übergriff entschuldigen. Auszeit im Nebenzimmer, die aus Köln stammende Tante tröstete den Bub und erklärte ihm soziales Handeln mit der Bemerkung: „Jung, mir denken et alle, ävver mer saren et nich!“ So gestärkt konnte sich der Bub für die Wahrheit entschuldigen.

H.W. Henze hatte wohl keine Tante, die ihm seinerzeit einen solch guten Rat hätte erteilen können, als er sinngemäß sagte, man könne 9/11 unter ästhetischen Kategorien betrachten. Die Sache ist noch zu wenig alt, wenden wir uns einem Ereignis zu, das 95 Jahre älter ist. Im Jahre 1906 brannte zuerst der Turm einer der Hauptkirchen Hamburgs, Sankt Michaelis, dann stürzte sein brennender Rest auf das Dach der Kirche, die auch ausbrannte.


In der damaligen Zeit wurden solche Ereignisse mit einem Extrablatt verbreitet, solchen Sonderausgaben hat Karl Kraus zu Beginn der „Letzten Tage der Menschheit“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Also so auch in Hamburg:


Eines muss man dem damaligen Journalisten zu Gute halten, er war ehrlich, spricht er doch nicht verlogen von der Erschütterung der Hamburger Bürger, sondern nennt den Anblick „schaurig-schön“, so ein Abfackeln sieht man eben nicht alle Tage. Geschieht so etwas heute, dann müssen alle in Betroffenheit erstarren, ein Rückfall in normales Denken und Empfinden kann sich noch nicht einmal Henze erlauben. Dabei „denken et alle“, wie sonst würde nicht am Jahrestag jeweils die Sequenzen gezeigt, in denen das (zweite) Flugzeug in das Gebäude eintaucht, „mer kennen et alle, ävver mer wollen et nochens sinn.“

Kunst für den Weltraum

Wer nicht mehr an die alten Dogmen glaubt, aber immer noch eine Instanz über sich haben muss, der wendet sich dem Irrationalem zu, sei es Esoterik, sei es der Glaube an Wiedergeburt, sei es die Hoffnung an Außerirdische, und wie die für modern gehaltenen Irrglauben alle heißen mögen. Die Römer waren da schon weiter, abgesehen von der Ritenorientiertheit ihrer Handlungen zur Befriedigung des Götterglaubens, was sie übrigens nicht RELIGIO nannten, haben sie auch schon an Aliens gedacht, sollte man denken.

Betrachtet man sich mittels Google Earth in Ostia, also an der Mündung des Tibers, die Terme di Nettuno so erkennt man im Eingangsbereich (rot umrandet) der Thermen irgendeine nicht ganz klare Struktur.


Verändert man das Bild in diesem Bereich oder setzt der Alien seine Fernbrille auf, dann erkennt man/er mehr, vielleicht sogar ein Bild. Denn es ist nur die angeblich unsichtbare Luft, die uns daran hindert, in der Ferne schärfer zu sehen, und uns alles bläulich eingefärbt erscheinen lässt. Aber aus dem Weltraum muss man höchstens 5 Kilometer dichte Luft durchdringen.


Was aber erfreut den fernen Betrachter?


Es ist der Erderschütterer Poseidon (die Graecophilie ist nicht zu leugnen), der mit vollem Gespann durch sein Reich fliegt. Den großen Beitrag zur Kunst leistete Nordafrika dadurch, dass es die vorzüglichsten Mosaizisten stellte. Erfreuen wir uns also an der Darstellung, der weit in den Weltraum dringt, so, wie die Römer es wollten.

Pantalone meint: „Mein lieber Dottore, Dir sind da aber die Gäule durchgegangen, das Apodyterium war doch damals mit einer Decke versehen, die Römer wollten sich doch nicht im Regen auskleiden!“ „Dass Du auch immer was zu meckern hast, jedenfalls heute kann man es von der Umlaufbahn der ISS aus betrachten.“ Beiseite: „Schrecklich, dieser Kerl!“

Nachtrag:
Die graecophile Haltung der Deutschen war den Engländern immer eine Quelle des Amüsements. Trotzdem wollen wir ihr hier noch Tribut zollen, ein Ausschnitt vom Bild auf einem Lekythos, der im Metropolitan Museum verwahrt (und großartig nebst vielen anderen Gegenständen im Netz präsentiert wird) zeigt in klein und klassisch, wie man sich einen Gespannfahrer vorstellen muss.


Ach, sie sind schon echt gut, die Griechen.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Über das Wirken der Kleinbürger

Wäre Pantalone Vulgärmarxist, so stellte er zum Königlichen Schloss in Berlin fest: Sich kommunistisch wähnende Kleinbürger haben es seinerzeit abgerissen, sich aufgeklärt dünkende Kleinbürger wollen es wieder aufbauen. Leider ist dieses Verdikt nicht so leicht von der Hand zu weisen.

Während die Genossen in Polen mit viel Mühe und unter Verachtung der Kosten sich der Geschichte ihres Volkes dadurch bewusst wurden, dass sie die im Krieg zerstörten Gebäude zuerst in Warschau, dann in Danzig wieder aufbauten, hatten die Kumpanen des Tischlers aus Sachsen nichts anderes im Kopf, als die Geschichte des ihren zu zerstören. Dabei war die Ironie der Angelegenheit, dass sie den Teil des Schlosses in die Fassade einfügten, von dem aus der Genosse Liebknecht jun. zu spät die Republik ausrufen wollte, Scheidemann war ihm zuvorgekommen. Das Zuspätkommen hat also bei diesen Genossen Tradition, sicherlich eine ungewollte.

Jetzt gilt folgendes: Nicht: form follows function, sondern: form seeks function. Also baut man nicht im Zentrum der Hauptstadt Preußens das damalige königliche Schloss wieder auf, sondern bemäntelnd schmückt man sich mit einem „Humboldtforum“. Nicht die Einsicht, im Mittelpunkt der Kapitale können unsere heutigen Architekten keinen Bau gestalten, der auch noch in 50 Jahren ansehenswert ist, bestimmt das Handeln der Aufbauwilligen, sondern man will einen Wechselbalg errichten, so ein bisschen alt, aber auch ein bisschen neu, so kleinlich und schäbig, wie die Bestimmenden eben selbst sind. Sie dünken sich aufgeklärt, weil sie die Geschichte des Bauwerks eliminieren wollen, das den wechselvollen Ablauf Preußens darstellt.

Schinkel hatte die gotischen Teile umgebaut, die gesamte Rückfront war der Renaissance verpflichtet, war aber nicht so pompös wie der sonstige Barockbau mit seiner wilhelminischen Kuppel, deren Höhe von der des Reichstages nicht überschritten werden durfte. Die Vorliebe des Kleinbürgers zum Barock hat schon Adorno im musikalischen Bereich belegt. Hier gilt ähnliches. Dazu kommt die Gleichsetzung Preußens mit seiner späten, wilhelminischen Ausstrahlung. Neben den berüchtigten sozialökonomischen Gründen hat auch Bismarck zum Verlust des alten Preußentums beigetragen: Aus provinziellem Mief des Pietismus stammend hat er nicht den Staat, in dem er lebte, unterstützt, sondern er betrachtete sich als der Schützer und Vollstrecker des Königshauses, das aber nicht mehr aus einem Friedrich II oder gar dem Louis Ferdinand bestand, sondern aus Figuren, die privat harmlos, aber politisch gefährlich waren (Beim „greisen Heldenkaiser“ Wilhelm I wird viel zu oft vergessen, dass er der Kartätschenprinz war).

So also wird ein Mischmasch entstehen, die Kahlheit der Innenhöfe wird teilweise abgedeckelt, die Rückfront fällt ganz weg, statt dessen entsteht ein Bauteil, der von dem verhinderten Archtitekten A.H. stammen könnte, wenn er sich erneut in das Mimikry des „Tages von Potsdam“ begeben hätte.


Dass dieser Bauteil klar faschistische Architektur ist, erkennt man an einem Vergleich mit Bauten in Rom. Dort war in der Ära des Faschismus das heute „Palazzo della Civilita“ genannte Bauwerk errichtet worden, von anderen spöttisch „Colosseo quadrato“ genannt.


Nur das Obergeschoss stimmt nicht mit der Quelle der Inspiration überein. Dort musste der über ein zu kleines Büro verfügende Architekt anderwärtig kopieren. Er fand, dass das Hochgeschoss des Außenministeriums in Rom doch abgekupfert werden könne, eines Bauwerkes, das jüngst Tom Koenigs bei aller ansonsten anzutreffenden Höflichkeit „mit einer Tendenz zum Wahn“ (Seite 104 des auch ansonsten lesenswerten Buches) beschrieben hat.


Das Schlimme an dem Ganzen ist aber die Tatsache, dass die Bestimmer über das Bauwerk sich gar nicht bewusst sind, eine Auferstehung vergangen gewähnter Architektur begründet zu haben. So blöd sind die. (Zur Erinnerung: Auf dem Schild, dass Teufel über den Kopf des Regierenden Bürgermeisters hielt, stand: „Solche Idioten regieren uns!“)

Oder aber, Pantalone irrt sich: Die bewusste Entscheidung für den faschistischen Baustil ist ein Affront gegenüber den am anderen Ufer Sitzenden/Stehenden (Beim nächsten Mal wird alles besser!)?

Fragender Hinweis von Dottore: Ist nicht auch der Hass auf die Niedertracht kleinbürgerlich?

Mittwoch, 19. Oktober 2011

NS-Kunst

Dottores Milchbruder und Wesensverwandter hatte Mitte der 70 Jahre einen nicht ganz erfolglosen Kampf „gegen die Verbreitung der NS-Kunst“ geführt. Damals wollte sich ein Kunstvereinsleiter (Bussmann) profilieren, um Professor zu werden (was klappte), ein Professor wollte noch mehr Profil erhaschen (Kühnl), um endlich einen Ruf von außerhalb zu erlangen (was nicht gelang). Diesmal ist es anders:

Werke der Bildenden Kunst haben wie jeder Gegenstand aus der Vergangenheit den Nachteil, nicht beliebig vermehrbar zu sein. Die zunehmende Prosperität und der weltweite Prestigedrang haben das Bedürfnis nach repräsentablen Werken gesteigert. Die Kunst vor 1800 ist meist in festen Händen, selten genug taucht etwas aus irgendwelchen Magazinen oder Lagern auf, jedenfalls viel zu wenig, um die Bedürfnisse des „Marktes“ zu befriedigen und die Umsätze der Kunsthändler zu stabilisieren. Also sann man nach und seit gut 20 Jahren floriert zuerst die Literatur über, dann der Handel mit den Erzeugnissen des 19. Jahrhunderts, also mit der ganzen Masse der akademischen Scheiße.

Wenn auch die damals tätigen Maler fleißig waren, ein weitschauender Kunstkaufmann blickt in die Zukunft und er wird wiederum vom HORROR VACUI überfallen, was verscherbeln wir denn dann? Zwar waren auch die Künstler zwischen 1933 und 1945 fleißig, aber ist das durchsetzbar auf einem Markt, der der Verlogenheit der political correctness folgt? Diesmal also wurde es schlauer angefangen, nicht zwei einzelne Hanseln werden vorgeschickt, sondern nun sind es Bataillone von ernsthaften Wissenschaftlern. Es geht um „Aufarbeitung“, die auf „Fachtagungen“ zelebriert wird. Basis der Beschäftigung mit dem läppischen Mist sind sechs Fotoalben, die „professionell“ von den Ausstellungen 1937 bis 1944 erstellt wurden. Aber alle Gespräche und Erkenntnisse sind und bleiben unwirksam; wichtig ist der Bruch der Staumauer, schon bald werden die Errungenschaften der faschistischen Kunst über uns herrollen, natürlich mit ernstem und verständnisheischenden Gebaren der Verkäufer versoßt. Die sechs Fotoalben werden – in kleinster Auflage versteht sich – nachgedruckt werden, darin abgebildet zu sein, ist der zukünftigen Ariernachweis für den Kunsthandel. Die Scham ist nach 65 Jahren verflogen, hoch lebe der Umsatz. Jedes andere Wort darüber ist verlogen.

Denn betrachtet man sich diese Bilder, so atmen sie die gleiche läppische Harmlosigkeit der Kunstwerke ihrer Großväter. Merckers Bild der „Granitbrüche Flossenbürg“ muss mit dem verbalen Zusatz versehen werden, ein Teil der abgebildeten Figuren seien KZ-Häftlinge, um das erstrebte Schauern hervorzurufen. Herr Gerling war da direkter, er hat ungebrochen durch 1945 die faschistische Kunst verehrt. Er ist also das Vorbild unserer Kunsthändler und ihrer Entourage, den Wissenschaftlern.