Mittwoch, 23. Februar 2011

Sebah 4 - Duplikate von und für ihn

Dass ein Fotograf von einem Gegenstand nicht nur eine Aufnahme macht, ist klar. Pantalone hatte 1962 die Freude, beim Trampen von Troia bis Izmir über Assos und Pergamon über drei Tage von zwei amerikanischen Berufsfotografen mitgenommen zu werden. Dabei hat er gelernt: Das Problem ist nicht, ob hoch oder quer, sondern beide; aber aussuchen später am Leuchttisch! Insbesondere bei Studioaufnahmen werden immer mehrere Bilder gemacht, so auch von der liebenswert dreinschauenden Türkin.

Montag, 21. Februar 2011

Pascal Sebah III, aber auch Bau von Gotteshäusern

Bei der Betrachtung der Antike kommt man auch bei Berücksichtigung des den Deutschen anhaftenden Graecozentrismus doch zum Ergebnis, dass viele der damaligen Errungenschaften auf griechischen Wurzel sprossten. Davon gibt es mindestens zwei Ausnahmen, den Raum und das Recht.

Die kargere Denkungsart der Römer verbunden mit der Lakonie ihrer mit Partzipialkonstruktionen und sonstigen Satzverkürzungen ausgestatteten Sprache erlaubte es ihnen, das erste ausgefeilte Rechtssystem aufzubauen (Einschub von Dottore: dabei unterschlägt Pantalone das, was Karl Marx die „sozialökonomische Scheiße“ genannt hat).

Donnerstag, 17. Februar 2011

Schleifen des toten Feindes

Das Schleifen des toten Feindes mag in irgendeiner grauen Vorzeit üblich gewesen sein, aber schon im 7. Jahrhundert vor Chr. ist es letztlich für Homer ein überwundenes Verhalten. Er schildert das Verhalten des stärksten und schönsten Helden der Griechen vor Troia in Il. XXIV 12 ff. so:
„Die Frühe fand ihn (Achilleus), sobald sie erschien und Küste und Meer überglänzte. Wenn er die flinken Rosse sodann geschirrt an den Wagen, band er den Hektor fest am Sitz hinten zum Schleifen; dreimal zog er ihn dann um das Grab des Menoitossohnes, ruhete wieder im Zelt und ließ den anderen liegen, draußen im Staube vornübergestreckt. Indessen Apollon schützte vor jeder Mißhandlung den Leib, erfüllt von Erbarmen, …“ (Nach der Übersetzung von Rupé).

Darstellung der Schleifung des Hektors durch Achilleus auf einer Hydria aus der Leagros-Gruppe

Mittwoch, 16. Februar 2011

Guttenbergs Ghostwriter oder Charly und Sebastian

Also der Guttenberg plante eine politische Karriere, oder seine Familie legte es ihm nahe. So windschlüpfrig, wie er sich meist gibt, so schlau wird er auch sein. Also muss er bei der Arbeit an seiner Dissertation doch daran gedacht haben, dass später, wenn seine Karriereplanung umgesetzt wird, alle seine Schritte kontrolliert würden, also auch die Promotionsschrift. Da hat ER schon aufgepasst.

Nach meiner Einschätzung seines Doktorvaters werden intensive Gespräche mit dem Promovenden auch stattgefunden haben; auch neige ich dazu anzunehmen, dass Karl-Theodor dabei vernünftig argumentierte und den Eindruck hinterließ, die Materie zu beherrschen. Dies trotz der stetigen Belastung durch die anschwellende politische Arbeit, schließlich öffnet zwar der Name die Türen, aber man muss auch mit der eigenen Person den Raum füllen. Die Struktur der Arbeit war festgelegt, nur die lästigen kleinen Einzelarbeiten, hie eine Einführung, dort die Durchformulierung, dann dieses blöde Zwischenstück, sie alle wollten sich nicht so rasch und leicht einstellen. Da bot sich Sebastian an, der Kumpel aus alter Studienzeit, der höchst intelligent war, aber auch gleichzeitig ein bisschen verkommen. Sebastian sollte nun die Bruchstücke einer großen Konfusion schön zusammennähen und zu einem einheitlichen (windschlüpfrigen) Werk kompilieren. Das tat er auch, wobei zu bedenken ist, dass er sich gerne in Kneipen rumdrückt und mit der Zeit wurde die Zeit knapp. Ach, was gibt es doch für schöne Einleitungen, dachte Sebastian sich immer wieder und übernahm sie, der Charly wird es schon nicht merken. Alle merkten es nicht, bis jetzt. Ich möchte auf keinen Fall Sebastian sein.

Dass es sowas gibt, weiß Dottore als "Hilfssebastian" aus eigener Erfahrung.

Na, klar, sagt Pantalone, die Wissenschaften sind so korrupt wie die Banken. Nur Deppen haben noch Achtung vor beiden. Aber das mit dem Hilfssebastian passt zu Dottore.

Zur Versachlichung der Diskussion trüge doch die Klärung des Begriffes Zitat bei. Die Schlussfolgerungen mag dann der Leser ziehen.

Unbestritten ist, dass wir alle mit all unseren Gedanken, und kommen sie uns noch so eigen vor, „auf den Schultern“ unserer Vorfahren stehen. Dottore erlebte dies schon vor fast 5 Jahrzehnten: Bei einer arbeitsrechtlichen Hausarbeit ging es letztlich um den Sachverhalt der „schadensgeneigten Arbeit“. Im „Seminar“ , also der Gemeinschaft der die Hausarbeit lösenden Studenten, hatte sich eine feste Meinung zum Lösungsschema gebildet, als Dottore plötzlich eine Idee kam, die so ernsthaft dieses Schema angriff, dass alle erneut darüber nachdachten. Als Dottore weiter nachlas, stieß er auf eine Entscheidung des Reichsarbeitsgerichtes von 1932, die diese Meinung hochkant verwarf. So ist das mit den „neuen“ Gedanken.

Die Sage von den 99 Büchern, die man für eine Dissertation gelesen haben soll, um aus dem Gelesenen dann das 100. Buch zu machen, ist so abwegig nicht. Wer jedoch 99 Bücher intensiv gelesen hat, die in ihnen erhaltenen Gedanken zu einem neuen Ganzen fügen kann, der soll sich doch schon berechtigt mit dem bürgerlichen Adel schmücken. Allerdings ist dabei die Anforderung an den Schreiber, die Gedanken selbständig im neuen Zusammenhang auszudrücken (gegen Wolfgang Neuss: „Es reicht nicht nur, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken“.) Nun dient ein Zitat dazu, eine treffende Formulierung zu verwenden, wobei die Stelle der Entnahme des Wortlautes anzugeben ist. Ein solches Zitat kann im Extremfall sogar einen ganzen Satz umfassen, weil schon seine Umformulierung die Tiefe des Gedankens verflachte. Aber mehr als einen Satz? Das ist dann schon eine Übernahme, keine Zitierung rechtfertigte dies. Hochgerechnet könnte dann eine Arbeit, die nur aus Übernahmen mit Zitatangabe bestünde, als eigenständige Leistung gewertet werden. Denn Anleihen gibt es in dem Bereich nicht, da der Verwender nie beabsichtigt, die geliehenen Worte zurückzugeben, es ist und bleibt Diebstahl, "Anleihe" ist falsch und euphemistisch.

Zur Wissenschaft und zum Zitat sei zum Abschluss folgende Geschichte erzählt: Dottore lernte einen leider ganz früh verstorbenen Privatdozenten kennen, der zu der Festschrift eines berühmten Politikers und Richters einen Beitrag verfasst hatte. Auf der ersten Seite wurde der Jubilar gleich zwei Mal mit unterschiedlichen Aufsätzen zitiert. Dottore meinte, das sei doch in der Direktheit zu liebedienerisch und daher peinlich. „Nein, nein“, sagte da der Verfasser, „das ist eine Scherz, den nur drei Menschen verstehen, der Jubilar, ich und nun Sie. Die zitierten Arbeiten habe ich unter seinem Namen geschrieben. Ich zitiere mich also selbst.“

Nach wie vor ist Dottore der Ansicht, dass Charly aufgesessen ist, für so schlau und vorsichtig halte ich ihn schon, aber Sebastian war und ist eben das Problem. Er war es, weil er abgekupfert hat, er ist es, weil er nicht zur Verteidigung, auch nicht von einem diesbezüglichen Minister, angeführt werden kann, weil es dann noch schlimmer würde.

Wie sagte doch schon die alte Dame aus der Familie der Gontard: „Mer hat nix wie Unmuß mit dene Leut!“

Für Peter Wittig

Nachtrag 1:
Nach der Erschießung des Herzogs von Enghien wurde über das Verhalten Napoleons bemerkt: „Das war schlimmer als ein Verbrechen, das war ein Fehler!“ Wenn Charly Sebastian beauftragte, dann ist das ein Verstoß gegen die Promotionsordnung und sollte den Entzug des epitheton ornans zur Folge haben. Sollte aber Charly das alles selbst fabriziert haben, dann müsste er zurücktreten, solch einen blöden Minister brauchen wir nicht.

Nachtrag 2:
Carolo resignato, causa finita

Nachtrag 3:
Neun Monate (verfasst Anfang Dezember 2011) reichen zwar aus, um einen neuen Menschen entstehen zu lassen, die Zeit ist aber viel zu kurz, um einen Menschen zu erneuern, der sich nachhaltig selbst fast zerstört hat. Was hat er denn in der Zeit getrieben? Nichts ihn nachdenklich Stimmendes! Ein großer Politiker, Bismarck, war die Ausbildung zum Juristen zu langweilig, er hat sie abgebrochen; aber nicht jeder Abbrecher muss eine derartige Karriere machen, auch wenn unser Gottesgeschenk sich "per membrum virile" dem Altkanzler anzunähern pflegt.

Um die Welt einmal in einem Beruf richtig kennen zu lernen, eine Sozialisation einmal ganz und seiner angemessen zu durchlaufen, täte er gut daran, schlicht Referendar zu werden, um dann anschließend zu verstehen, dass Recht nicht ist, sondern jeweils mühsam wird. Ansonsten wird er immer unglaubwürdig wirken, weil er es bislang ist. Und, wenn es dann mit der Politik nichts werden sollte, dann kann er Rechtsanwalt werden, was zumindest mehr ist als Sohn.

Sonntag, 13. Februar 2011

Im Schatten der Kollegmappe

Wir waren vom 21.05.1954 bis 4.06.1954 im Schullandheim in Holzhausen. Wir, das waren die Schüler der Klasse U III b des humanistischen Gymnasiums. Dieses war im Gebäude des jetzigen Gutenberg-Gymnasiums untergebracht, die Schule hatte zwei Zweige: "Huma" und "Real". Die vom "Huma" fühlten sich in der historischen Folge deutscher Geistesgeschichte, die uns damals so vermittelt wurde, selbstverständlich den traditionslosen Gesellen vom "Real" überlegen, die vorrangig Neusprachen und Naturwissenschaften lernten. Der feine Unterschied war schon an den Klassenbezeichnungen erkennbar: die Klassen im humanistischen Zweig wurden mit römischen Ziffern benannt, die im realgymnasialen Zweig mit arabischen. Sogar die Spitznamen der Lehrer war unterschiedlich; ein Studienrat, der in Mathematik und Religion unterrichtete und einen Turmschädel hatte, hieß bei den der platten Naturwissenschaft nahen Realgymnasiasten "Osram", während die Oberstufe des Huma von "Perikles" sprach.

Wir waren also Schüler einer "Huma"-Klasse, allerdings mit einem kleinen Makel. Als zweite Fremdsprache - nach Latein, vor Griechisch - lernten wir Englisch, während unsere Parallelklasse die einzige neuere Sprache erlernte, die vom Bildungswert angemessen war, also Französisch. Daher waren in unserer Klasse auch nur 35 Schüler, in der U III a jedoch 48. Es gab Klassen mit über 50 Schülern, nach oben wurde etwas ausgedünnt: "Pantalone, du musst dich nicht mit Latein abquälen, das schaffst du sowieso nicht! Werde doch Fliesenleger. Ich habe mir sagen lassen, so ein Fliesenlegermeister verdient mehr als ein Studienrat!" - Die antike Arroganz gegenüber dem Banausen wurde uns vorgelebt.

Das Schullandheim war wie eine ehemalige Reichsarbeitsdienstbaracke, stand in dem Dorf Holzhausen in der Nähe von Kassel und man muss es sich so vorstellen:

"Ein sauberer Holzzaun grenzt das Grundstück ab, Blumenkästen schmücken die Fenster, und von zwei Fahnenmasten flattern die Fahnen [- nein, nicht uns voran -] unserer Stadt und des Landes. So ist aus einem ehemaligen Fabrikgebäude im Laufe der Jahre der Mitarbeit der Elternschaft ein modernes, schmuckes, allen Anforderungen für die Belegung mit etwa 40 Schülern gerecht werdendes Heim entstanden, in dem sich die Jungen wohl fühlen, und das alle äußeren Voraussetzungen für das Gelingen der Arbeit schafft, die dort geleistet werden soll: Erziehung zu sozialem Denken durch Berührung mit den Bauern und Arbeitern, Gemeinschaftsbildung durch das Zusammenleben untereinander und mit dem Lehrer, Erziehung zur Selbständigkeit, körperliche Erholung und Ertüchtigung durch den Aufenthalt in der rauheren Luft Nordhessens, und durch das ausgewogene Verhältnis von Arbeit, Spiel und Wanderung." So StR Dr. Alban im Jahrbuch der Dilthey - Schule 1954/55.

Unsere Mitschülerin Vera wollte und konnte nicht mitfahren, da für sie kein Schlafraum vorhanden war. Daher brauchten wir einige Freiwillige aus der U III a, bis die erforderlichen 40 Schüler zusammen waren. Aus der Parallelklasse, in der Schüler wie Draheim und Mildenberger waren, fanden sich schnell einige, die "die rauhere Luft Nordhessens" dem Wiesbadener Schulklima vorzogen.

Unser Klassenlehrer, Herr Studienassessor Dobe, wurde von einem frischen, lockigen Referendar namens Milch begleitet und unterstützt. Mit einem Bus der Firma Fiehl fuhren wir ohne Herrn Dobe nach Holzhausen, nur Herr Milch war bei uns. Herr Dobe saß auf seiner 250er Ardie, da in Kassel seine Freundin wohnte, zu der er von Holzhausen aus nächtens fahren wollte, wie wir später recherchierten. Im übrigen galt Herr Dobe als Kommunist, was damals [und wieder jetzt?] ungefähr so schlimm war, wie wenn einer heute als Islamist enttarnt würde. Dies brachte ihm bei uns die Sympathie eines Outlaw wie Robin Hood - wir lernten Englisch! - ein.

In Holzhausen entpuppte sich Herr Dobe als jemand, der Lehrer an einer Napola hätte gewesen sein können: Mit uns wurde eine stramme paramilitärische Schulung durchexerziert. Nachtmärsche, Feldschlachten um Apfelsinenkisten, sämtliche Wanderungen nur nach Kompassmarschzahlen folgten aufeinander, spärlich unterbrochen von zaghaften Lateinunterrichtsbemühungen des Referendars, der doch lange nicht die bittere Schärfe unseres Lateinlehrers Dr. K. (Dottore tut ihm nicht die Ehre an, ihn mit vollem Namen zu erwähnen, er hat kein Anrecht auf Erwähnung im Netz) hatte.

Als wir nach Kassel zum "Herkules" wollten, war daher klar, dass ein Verkehrsmittel nicht benutzt werden würde. Von Holzhausen nach Kassel sind es 13 km, von der Innenstadt zum Denkmal noch einmal 7 km. Es war zwar erst Anfang Juni, aber die Sonne schien kräftig, die Straße war lange und staubig. Besonders entmutigend in Kassel war es überdies, dass man das Ziel schon von ganz weit sehen konnte, es aber auch nach längeren Beobachtungspausen seine Größe nicht veränderte, es erschien unerreichbar. Zudem gingen wir noch entlang einer Straßenbahntrasse, wobei die einzelnen Straßenbahnzüge uns in der Regelmäßigkeit ihres Fahrplans überholten.

In Dottore wurde der Wunsch übermächtig, wenigstens ein Stück mit der Straßenbahn zu fahren. Schon der Gedanke an die kühlen Holzbänke mit den Messingschrauben, an den Fahrtwind, sogar nur die Vorstellung, sitzen zu können, spornte ihn zu höchster Anstrengung an, wie er diesem elenden Marschieren entrinnen könnte. Nun gibt es seit alters her ein perfides Mittel, andere zum Handeln zu zwingen: Man schiebt ihnen Verantwortung zu. Dies ist besonders bei Lehrern erfolgreich, wähnen sie sich doch von jeher schon "mit einem Bein im Zuchthaus". Dottore aktivierte also einen im Jahr zuvor erlittenen Hitzschlag und erklärte meinen Mitschülern - tapfer weitermarschierend - , mir würde genauso schlecht wie im vorigen Jahr bei eben jenem Hitzschlag. "Dem Pantalone ist schlecht, der bekommt wieder einen Hitzschlag von der Sonne!" Besorgt erkundigte sich Herr Dobe, wie beiläufig erwähnte Dottore den Vorfall aus dem Jahr zuvor. Offensichtlich markierte er sein tapferes Weitermarschierenwollen zu vital, jedenfalls beschloss Herr Dobe, Dottore zwar vor Sonnenschein zu schützen, ihn aber nicht in die Straßenbahn zu setzen.

Herr Milch trug eine Kollegmappe in der Hand; das war eine jener aus beige-braunen Plastikmaterial gefertigten dünnen Mappen, die mit abgerundeten Ecken und zwei Reißverschlüssen damals neben pastellfarbenen Gabardinejacken ohne Kragen das Erkennungszeichen der Lehrer waren. Herr Milch wurde nun - heute würde Dottore sagen "dienstlich" - von Herrn Dobe aufgefordert, Dottore auf dem weiteren Weg mit Hilfe der Kollegmappe Schatten zu spenden, jedenfalls solle sein Kopf immer im Schatten sein: "Sonst fällt mir der noch um!"

Und so marschierte Dottore nun von da an durch ganz Kassel im Schatten der Kollegmappe, die der geduldige Herr Milch immer so zwischen die Sonne und Dottores Haupt hielt, dass es im Schatten war. Sein Ziel hatte er nicht erreicht, aber nun konnte er auch nicht mehr von seiner Hitzschlaggefährdung weg, ohne das Risiko einer Ahndung einzugehen. Die Mitschüler feixten, aber treu und gehorsam hielt der Referendar an der ihm erteilten Anordnung fest, mochte er auch an deren sachlicher Berechtigung immer mehr zweifeln. Anfangs fühlte Dottore sich wie Robinson, dem von Freitag ein Sonnenschirm aus Fellen hinterher getragen wird. Später wurde es ihm zusehends peinlicher und so entließ er schließlich bei Eintritt in den schattigen Park des Schlosses Wilhelmshöhe huldvoll seinen Schattenspender.

Befreit stürmte Dottore mit seinen Mitschülern durch den Park bis zum Oktogon, auf dem die Riesennachbildung des farnesischen Herkules steht. Auf einem Treppenabsatz machten alle Halt und schauten nach unten. Es kam eine Mädchenklasse, eines der Mädchen trug eine gelbliche Nyltestbluse. Nyltest war eines der ersten Kunststoffmaterialien in dieser Zeit und unter bestimmten Bedingungen durchsichtig. Diese waren gerade gegeben, man erkannte mehr als man ahnen musste, dass dieses Mädchen einen schwarzen Büstenhalter trug. Dies wiederum veranlasste Dottore, sich grossprecherisch über die nun doch verhüllten sekundären Geschlechtsmerkmale des Mädchen auszulasssen. Seine Mitschüler hörten ihm zwar zu, schauten ihn aber dabei so eigenartig an, so dass er sich umdrehte und dabei Herrn Milch entdeckte, der - unbemerkt von Dottore - hinter ihn getreten war.

Damals waren derartige Ausführungen in der Schule äußerst verpönt, man lebte schließlich noch in den fünfziger Jahren. Aber, Herr Milch sagte wiederum nichts, verpetzte ihn auch nicht bei Herrn Dobe, nur den Blick, mit dem er Dottore anschaute, wird er nie vergessen: Ohne sich in die Reihe derer einordnen zu wollen, die behaupten, sie könnten Gedanken lesen, ist er sicher, dem Blick die ironisch-verzweifelte Erkenntnis entnommen zu haben, "deswegen habe ich doch wohl nicht durch ganz Kassel die Kollegmappe über seinen Kopf gehalten".

Wenn Dottore dies alles nicht so genau noch wüsste, er würde selbst nicht glauben, dass so etwas geschehen ist, geschehen konnte. Dottore hat die Geschichte auch oft erzählt, weil sie in ihrer Absurdität über die Schule damals mehr aussagt als manche Analyse. So hat also diese Geschichte auch wiederum selbst eine Geschichte und zudem ihm 33 Jahre danach zu einem Erlebnis verholfen, das er zuvor nur in der Anekdote von Hebel über das Bergwerk zu Falun lesend erfahren hatte: Die Gegenwärtigkeit der Vergangenheit.

Als Dottores Sohn das Gymnasium besuchte, das – mit anderem Namen – das alte Huma ist, traf er einen reizenden älteren Herren mit weiß gelockten Haaren, einen Lehrer, der kurz vor der Pensionierung zu sein schien. Es war – leicht zu erraten – jener brave und liebenswürdige Referendar, der in der Geschichte immer jung geblieben, während Dottore selber immer älter geworden war. Die Gnade der selektiven Erinnerung hatte ihm allerdings die Episode aus dem Gedächtnis gestrichen.

Pantalone meint: So, wie der den Dr. K. zu hassen scheint, so geht er auch mit mir um.

Freitag, 11. Februar 2011

Statt im Eisen im Büro

Neben dem Studium, für das er gut genug versorgt wurde, wollte Dottore noch Geld verdienen, um längere Reisen zu machen und ein Auto zu unterhalten. Damals – Ende der 50er Jahre – ging man als männliches Wesen auf den Bau. Nun war das Dasein als Bauhilfsarbeiter mit bisweilen mühseligen Arbeiten verbunden, man stand am untersten Ende der Hierarchie. Auf einer Großbaustelle erhielt Dottore das Angebot, er könne Fuchsfahrer oder Eisenbieger/flechter werden. Fuchs war ein mit Rädern ausgestatteter kleiner Bagger, Baggerfahrer sind relativ angesehen, sie müssen sorgfältig arbeiten, ein Fehler von ihnen kann leicht Menschen verletzen. Dottore entschied sich für Eisenbieger, da er von zukünftiger Arbeit anderwärts ausging und Fuchsbagger eben nicht überall benutzt wurden. Nun war Dottore noch nicht Dottore, er strebte aber danach, über das, was er machte, Bescheid zu wissen. Also lieh er sich ein Buch über Stahlbetonbau aus und las es.

Eines Tages nun waren keine 8er Eisen da. (Einfügung von Pantalone: Nun kann der bologneser Schlaumeier los legen, wappnen Sie sich, es dauert Stunden, bis er seine angebliche Weisheit verkündet hat!). Trotz des unsachlichen Einwandes muss ich das wohl kurz und knapp erklären: Stahlbeton ist ein Baustoff, bei dem der Beton die statischen Druckmomente, der eingelegte Stahl die Zugmomente aufnimmt. Je dicker ein eingelegter Stahlkörper ist, desto stärkere Zugmomente hält er aus. Die Zugfestigkeit des Monierstahls wird nach seiner Dicke, also seiner Querschnittsfläche, berechnet. Es gibt nun die Bewehrungspläne, in denen festgelegt ist, an welchem Ort welche Stahlstangen im fertigen Baukörper sein müssen. Allerdings ist manchmal nicht alles festgelegt, so gibt es Bereiche, in denen dem auf der Baustelle Tätigen überlassen bleibt, welchen Monierstahl er einlegt, es muss nur die Querschnittsfläche stimmen. In einem Pfeiler, Säule genannt, sollten auf zwei Seiten je drei 8er Eisen (also Stahl) eingebaut werden, aber 8er waren nicht da, nur 10er, damit ist der Durchmesser gemeint.

Die Rechnung ist einfach und letztlich leicht nachvollziehbar:

Die Fläche des Kreises ist π x r x r. Da die Summe beider Kreisflächen (also der vorgesehenen 8er und der vorhandenen 10er) gleich sein soll, ist eine Gleichung nötig. Da die nicht leicht beim Rechnen handhabbare Zahl Pi auf beiden Seiten der Gleichung auftaucht, kann man sie kürzen.

6 x (8:2) x (8:2) x π = X x (10:2) x (10:2) x π
6 x (8:2) x (8:2) = X x (10:2) x (10:2)
6 x 4 x 4 = X x 5 x 5
96 = X x 25
X = 4

Es entspann sich folgendes Gespräch:

Jungdottore: Polier, wir brauchen sechs 8er Eisen!
Polier: Mir habbe kaa 8er, nur 10er und 12 er.
Jungdottore (nach kurzer Rechenpause): Dann brauchen wir 4 10er!
Polier: Woher willst dann Du des wisse?
Jungdottore: Das habe ich ausgerechnet!
Polier: Des kann mer nit ausrechne, do muss mer im Bucch nachgucke.

Daraufhin holt der Polier den Stahlkalender aus der Tasche und schaut nach. Dann guckt er Dottore kurz an, nickt und beschließt, dass dieser ihm von nun an nicht geheuer ist.

Die Baustelle wurde wegen ihrer Größe von einer Arge betrieben, die möglichst wenige Angestellte bezahlen wollte. Die örtliche Bauleitung saß in einer Baracke, in der ein Raum mehr als kniehoch mit Plänen für das Bauvorhaben angefüllt war. Jeder Plan war erst nach langem Suchen zu finden. So sann man darauf, irgendjemand aus der Schar der Arbeiter zu finden, den man "aufs Birro" schicken konnte, ohne förmlich einen Angestellten zu beschäftigen. Der Polier wollte diesen eigenartigen Dottore loswerden und schlug ihn vor. Dottore sträubte sich etwas zum Schein, verlangte wegen der schwierigeren Arbeit eine Prämie von einer angerechneten Stunde täglich, ohne sie ableisten zu müssen, was genehmigt wurde.

Blitzschnell verwandelte Dottore sich in einen Bürokraten. Rasch erkannte er das System der durchnummerierten Pläne, orderte Regale und Kisten voller Leitzordner sowie eine Büroeinrichtung mit einem Locher. Alle Pläne wurden erfasst, in Ordner mit Inhaltsliste geheftet. Im Grunde war die Arbeit nach einer Woche erledigt, dann kamen pro Tag nur noch zwischen 20 und 50 neue Pläne, die sich ebenfalls rasch in die nun bestehende Ordnung einfügen ließen. Aber Dottore entwickelte nun instinktiv bürokratisches Bewusstsein. Die Pläne wurden nicht sofort alle eingeordnet, ein immer kleiner werdender Haufen der Pläne auf dem Boden bewies die Notwendigkeit seiner Weiterarbeit. Auch musste von nun an der Erhalt eines Planes auf den Inhaltslisten der Ordner quittiert werden. Die meiste Zeit verbrachte Dottore damit, die sich die Pläne anzusehen und dabei doch etwas von der ihm bis dato fremden Sphäre zu lernen.

Die Verwandlung in einen Bürokraten wurde auch von den anderen Mitarbeitern akzeptiert, es gab die gemeinsamen Pausen, es gab „die da draußen“, man verlegte ein Telefon in den Raum für die Pläne, Dottore mahnte rechtzeitig die Übersendung neuer Pläne an, man war traurig, als das Semester begann und Dottore sich verabschiedete. Die stärkste Veränderung geschah beim Polier. Zuerst nahm er beim Betreten des Raumes der Pläne die Mütze ab, dann akzeptierte er widerspruchslos das verlangte Quittieren, sein auf der Baustelle völlig übliches „Du“ wurde zuerst durch unpersönliche Anrede ersetzt, nicht mehr: „Gebb mer mol de Plan 598/34“ sondern „Isch bräuchte de Plan 598/34“, dann erst versteckt ein „Wenn Se en da habbe“, bis zum offenen Sie und Hochdeutsch. Wurde der wöchentlich gezahlte Lohn zuerst mit „Da, die Lohndudd“ überreicht, so hieß es jetzt: „Hier Ihre Lohntüte“. So sammelte Dottore soziologische Einsichten einschließlich der Feststellung, dass er eben zu den Klasse der Herrschenden gehöre, Rechnen als Eintrittsgebühr in die höhere Klasse.

Aktionäre überflüssig

Der Bankier Carl Fürstenberg hat den berühmten Satz geprägt: „Aktionäre sind dumm und frech. Dumm, weil sie Aktien kaufen, und frech, weil sie dann noch Dividende haben wollen.“ Nun sind Aktionäre oder anders benannte Teilhaber ein notwendiger Teil dessen, was die Juristen eine „juristische Person“ nennen, womit sie sich nicht selbst bezeichnen, dafür haben sie viel zu wenig Courage. Aktionäre sind vielleicht nicht frech, aber meist lästig. Darum wurde auch das Aktiengesetz geändert, das Interventionsrecht der Aktionäre auf der Hauptversammlung eingeschränkt einschließlich der sich daran anschließenden Möglichkeiten von Anfechtung oder gar Prozessführung.

Die Verselbständigung der Unternehmensführer ist am deutlichsten an dem Wort „Feindliche Übernahme“ erkennbar. Da erdreistet sich doch ein anderes Unternehmen, das zum immer stärkeren Großaktionär wird, die Geschäfte bestimmen zu wollen in einer Weise, die den gegenwärtig Agierenden im Unternehmen (damit ist der Begriff Management elegant vermieden) einfach nicht passt. Nicht der oder die oder alle Aktionär(e) bestimm(t)en, sondern die besitzlose Gruppe der Unternehmensleiter.

Also ist es am günstigsten, überhaupt keine Aktionäre zu haben. Aber wie schafft man das, da sie doch Geld in die Kasse bringen? Die Lösung besteht in dem Engagement in einem Bereich, der sozial als nützlich angesehen wird, beispielsweise Sport, Verkehr oder Gesundheit.

Das Olympische Komitee ist doch eine großartige Einrichtung, sie gehört niemanden, kann weltweit bestimmen, die zukünftig Bestimmenden werden von den jeweils gegenwärtig Bestimmenden ausgewählt, man widmet sich einer angeblich wichtigen und sozial nützlichen Tätigkeit, hat zur Dämpfung möglichen Misstrauens eine Alibiveranstaltung, die noch sozialer ist (Para…), hat keine lästigen Inhaber, die nach dem Verbleib des erwirtschafteten Geldes fragen, ist weltweit von der ansonsten jeglichem Menschen belastenden Steuerpflicht befreit, versucht immer stärker eine eigene Quasistaatlichkeit aufzubauen (Legislative und Administration sind eins, die Jurisdiktion wurde einem Quasi-Höchstgericht übertragen), kurz es ist die perfekteste Umsetzung der Idee des Kapitalismus inklusive einer sozialen Rechtfertigung.

Die FIFA strebt dem nach, hat aber gegenwärtig einen haut gout, weil man es zu offensichtlich betrieben hat verbunden mit dem, was man früher Durchstechereien nannte, zudem ist die Nähe zu den professionalen Vereinigungen (erwerbbare Fußballclubs) näher als zu nationalen Sportverbänden, die meist ehrenamtlich handeln. Es ehrt den Kaiser, dass er sich daraus zurückgezogen hat.

Wer lobt nicht das Rote Kreuz, aber wer kontrolliert es, wie fest ist der Krankentransport mit seinen immensen Kosten (Dottore hat bei keiner Diskussion über die Reform des Gesundheitswesens gehört, dass auch die Krankentransporte Kürzungen hinnehmen müssten), wie weit der Blutmarkt in seinen Händen, wie monopolartig darf das Rote Kreuz agieren? Der ADAC nennt sich das Parlament der Autofahrer, was eine Frechheit ist. Er gehört sich selbst, dem wiederum Wirtschaftsunternehmen gehören.

BEATI POSIDENTES, glückliche Eigentümer (Dottore weiß, eigentlich heißt es Besitzer!), war die Empfehlung der Vergangenheit. Heute kann der glücklich sein, der ohne lästige Teilhaber, ohne wirksame Kontrolle seinen Reibach in einer solchen Einrichtung machen kann, Voraussetzung ist der richtige Stallgeruch und die Anpassungsleistung an die Ideologie der Institution.

Von sowas kann der Ackermann nur träumen.

Leben aus zweiter Hand

Dottore lernte im Wintersemester 62/63 eine Jurastudentin kennen, die aus der Herde der werdenden Juristen herausragte, gleichsam eine EGREGIA. Gisela H. war nicht nur ansehnlich anzuschauen, sondern interessierte sich auch für Außerrechtliches. Schnell hatten sie und Dottore einander die jeweils anderweitige Bindung offenbart, nun konnte eine völlig harmlose Beziehung aufgebaut werden. Nach Ende des Semesters sah er sie nie wieder, wahrscheinlich ist sie Amtsrichterin in Ravensburg geworden.

Ihr Anderssein dokumentierte sich unter anderem dadurch, dass sie an einer anderen Fakultät ein Seminar besuchte, das sich mit den Fernsehgewohnheiten von Kindern beschäftigte. Kurz vor Ende des Semesters fragte Dottore, was denn nun in diesem Seminar als Ergebnis herausgekommen sei? Die seitdem entschwundene Gisela antwortete: „Kinder mögen im Grunde das am liebsten sehen, was sie selbst machen könnten“.

Die Richtigkeit dieser Erkenntnis wird einem tagtäglich im Fernsehen bestätigt:

Statt Sport zu treiben, wird die sportliche Betätigung anderer gezeigt.

Statt selbst anständig zu kochen, soll man ununterbrochen in die Kochtöpfe irgendwelcher Köche schauen, die aber nie Kartoffeln schälen.

Statt sich zu unterhalten, sehen sich die Zuschauer fremde Gespräche an, sog. Talkshows.

Statt selbst zu singen und zu musizieren, ….

Statt zu lesen, ….

Statt….

Das weitere mag der Leser vervollkommnen.

Zusammengefasst: Es herrscht das Leben aus zweiter Hand vor, nicht erst Spiele wie „Sims“ oder gar „Second Life“ ersetzen das eigene Leben, das gesamte Dasein der Zuschauer erscheint zunehmend als Surrogat für wirkliche Lebensgestaltung. Die Faszination des „Bewegten Bildes“ ist zu groß.

Die Kinder von damals haben ihre Gewohnheiten eben weitergelebt und sie auf ihre Kinder und Enkel übertragen, ohne sie dann selbst aufzugeben.


Pantalone meint dazu, dass leider, leider, leider, leider Dottore nun doch einmal recht habe; bei anderen Dingen sonst aber nicht! Im übrigen: Wer das Fernsehen bei sich abschaffe, der habe jeden Tag zwischen 2,5 bis 3 Stunden mehr Lebenszeit, in der er beispielsweise seinen Blog mit Posts füllen könne.

DEUS EX MACHINA

In griechischen Dramen wurde dann, wenn die Situation durch Schuld und Verstrickung der Handelnden so unlösbar erschien, dass nur eine Katastrophe folgen konnte, eine Lösung dadurch ermöglicht, dass ein plötzlich in das Geschehen eingreifender Gott die Geschicke aller zu einem guten Ende führte. Um nun den Gott gleichsam einschweben zu lassen, ließen die Griechen ihn von dem Skenengebäude an einer Art Kran – das ist die MACHINA - herunter mitten in die Spielfläche, die Orchestra.

Von den antiken Theatern ist meist das Skenengebäude zerstört, wobei auch noch zu berücksichtigen ist, dass derartige Gebäude erst in hellenistischer Zeit, also meist erst ab dem 2. Jahrhundert vor Chr. als feste Bauten errichtet wurden; vorher wurden fast immer Holzgerüste aufgebaut. Aber, in einigen Theaterruinen, so beispielsweise in dem von Priene in Ionien, haben sich die dafür vorgesehenen Teile im Bauwerk des Skenengebäudes erhalten, so dass auch heute noch fassbar ist, wie denn damals die Rettung über eine lift- und kranartige Apparatur hereinschwebte.

Anfang der achtziger Jahre hatte Dottore ein Scheidungsmandat, das sich ausgesprochen schwierig gestaltete. Ein werdender Diplomingenieur hatte sich in eine Professorentochter – ob mit oder ohne Berechnung – verguckt und sie auch geheiratet. In seinem beruflichen Leben entdeckte der Ehemann nun, dass die Herkunft seiner Gattin dort nichts mehr wert war, zudem hatte der Professor seine Gene nicht an seine Tochter vererbt, sie war harmlos. Der bei Big Blue arbeitende Diplomingenieur strebte aus der Ehe, dem Professorentöchterchen zerbrach ihre Welt. Sie saß in der abgedunkelten Wohnung mit den zwischenzeitlich geborenen zwei Kindern und war am Rande einer Psychose. Ihr Papa nahm die Sache in die Hand, kam mit ihr zu Dottore, der Scheidungsantrag war seiner Tochter schon zugestellt.

Rasch stellte Dottore fest, dass der Vortrag der Gegenseite nicht unzutreffend schien, dass nämlich durch die psychische Situation der Mutter auch die Kinder gefährdet sein konnten, wer konnte schließlich mit Sicherheit sagen, dass sich Frau Bamberger, so will ich sie einmal nennen, nicht das Leben nehmen würde und dabei die Kinder „mitnähme“. Natürlich habe ich als ihr Anwalt alles bestritten, aber erlitt eine herbe Niederlage, als Frau Bamberger völlig unentschuldigt und auch, ohne mich benachrichtigt zu haben, zum Gerichtstermin nicht erschien. Dies nahm die Richterin zum Anlass, mich darauf hinzuweisen, dass sie bei einem weiteren Ausbleiben doch wohl davon ausgehen müsse, dass der Vortrag der Gegenseite zutreffend sei.

Zudem kamen mir selbst Zweifel, ob nicht die Kinder tatsächlich gefährdet seien. Grundsätzlich war und bin ich der Ansicht, dass Kinder auch vom Vater betreut und erzogen werden können, da aber der Herr Bamberger ziemlich gelackt und unsensibel auftrat, zudem seine neue Lebensgefährtin, bei der die Kinder dann hätten aufwachsen müssen, ebenfalls einen unangenehmen Eindruck auf mich machte, wäre der Wechsel für die Kinder sicherlich nicht günstig gewesen. So machte ich mühsam die Adresse des Professorenpapas ausfindig und telefonierte mit ihm, letztlich hinter dem Rücken meiner Mandantin. Wir waren uns in der Sorge um seine Enkelkinder einig und er beschloss daher, seine Tochter zu veranlassen, zu ihm und seiner Frau in sein großes Haus zu ziehen, was auch geschah.

Als ich die Ladung zum nächsten Termin erhielt, habe ich veranlasst, dass Papa mitkam. Schon um 9 Uhr waren Vater und Tochter bei mir, gemeinsam haben wir sie, die tatsächlich in psychischer Hinsicht äußerst wacklig war, seelisch aufgepäppelt - fast zwei Stunden lang. Ich spielte ihr mehrmals den genauen mutmaßlichen Ablauf der Verhandlung vor, die Sitzordnung wurde vorgestellt, jede mögliche Frage der Richterin und der Gegenseite wurde ausgedacht und die jeweiligen Antworten eingeübt. Papa und ich behandelten sie so, wie ein Boxer vor dem Kampf aufgebaut wird. Fast eine Katastrophe war es, dass Papa nun in die Sitzung des Familiengerichtes nicht mitgehen durfte, sind doch derartige Sitzungen nichtöffentlich. Auch diese Schwierigkeiten wurden durch gütliches Zureden überwunden, zumal Papa fest zusagte, mit zum Gericht zu gehen und vor dem Sitzungszimmer zu warten.

Schweren Herzens und doch noch etwas unsicher machten wir drei uns zum Termin auf. Nach dem üblichen Warten öffnete sich die Tür des Sitzungszimmers, der vorhergehende Termin war zuende, unter anderem kam ein ostentativ gebräunter Mann mit hinaus, der mir irgendwie bekannt vorkam. Darüber wollte ich aber nicht nachdenken, sondern lud Frau Bamberger ein, nun das Sitzungszimmer zu betreten. Die aber schaute mich mit dem höchsten Ausdruck von Seligkeit an und stammelte: „Das ist der Claus Seibel!“ worunter ich mir immer noch nichts Bestimmtes vorstellte. Nur bemerkte ich, dass meine Mandantin sich schlagartig von der verzagten Professorentochter in eine souveräne Dame verwandelt hatte, die eine kleine Lästigkeit zu erledigen hatte. In der Verhandlung hielt sie sich nicht an die eingeübten Rede- und Antwortspielchen, sondern setzte dem Gericht mit eigenen Worten geradezu locker auseinander, wie ihre jetzigen Lebensverhältnisse seien, sämtliche Trauer und Verzweiflung waren verflogen. Die Richterin rügte fast die Gegenseite, da doch Frau Bamberger eine solch tüchtige und selbstsichere Frau sei. Sie, die zuvor immer wieder behauptet hatte, nie geschieden werden zu wollen, willigte sofort in den Rechtsmittelverzicht ein und verließ den Sitzungssaal als rechtskräftig geschiedene Frau.

Nach der Verhandlung erklärte sie Papa und mir, sie sei nun unmittelbar nach Claus Seibel geschieden worden, es handle sich doch bei ihm um den Nachrichtensprecher beim ZDF, ob wir das nicht erkannt hätten. Ich realisierte nun den Grund meines Erkennens, aber sowohl Papa als auch ich erfassten unabgesprochen, dass diese Tatsache der Scheidung nach Claus Seibel so bedeutend für sie war, dass wir sie in ihrer Einschätzung bestärkten. Ob nun Claus Seibel der geheime Schwarm ihres Herzens war, ob sie die Tatsache ihrer Scheidung nach Claus Seibel stolz ihren Freundinnen erzählen konnte, ob die Nähe zur Prominenz sie wie das Göttliche gestreift hatte, nie werde ich es erfahren.

Dottore hat diese Geschichte immer wieder erzählt, weil sie zeigt, wie unterschiedlich psychische Lähmungen behoben werden können. Frau Bamberger war durch die Trennung auf das tiefste verletzt und konnte durch ein dem Betrachter läppisch erscheinendes Ereignis plötzlich ihre Realität erkennen und ihr Leben wieder steuern. Daher ist dies Geschehen auch demjenigen mitgeteilt worden, der bislang gleichsam als Objekt durch die wahre Begebenheit geisterte. Früher wollte Dottore es nicht übermitteln, da ihm – die Welt ist auch in Roulettenstadt klein – über einen gewissen Zug zur Eitelkeit bei dem geradezu göttlichen Eingreifer berichtet worden war. Und so etwas soll man nicht bestärken. Dann aber, nach mehr als 20 Jahren, ist es auch jenem Claus Seibel bekannt gemacht worden, damit er sich in der Geschichte eben auch als Subjekt verstehen kann.

Donnerstag, 10. Februar 2011

Führer und Geführte

1964 versuchten Dottore und Pantalone in die Untiefen der Jurisprudenz einzudringen. Die Rechtswissenschaft ist gar keine, diesen Hinweis auf die Erkennbarkeit dieser Tatsache am reinen Wort verdanke ich Ottmar Ballweg: Denn im Mittelalter unterschied man zwischen Wissenschaft (scientia) und Gelehrsamkeit (prudentia), das hat sich fortgeschleppt und in dem Wort JURISPRUDENTIA manifestiert. Um den Fallstricken der Dogmatik zeitweise legal zu entkommen verbunden mit dem Gefühl, doch etwas Zielgerichtetes zu tun, hörten wir Gerichtsmedizin und Gerichtliche Psychiatrie. Die Ordinaria plante eine Exkursion, es stand keine Hausarbeit an, keine Klausur war zu schreiben, also wollten wir mitfahren. Die Tour nach Norddeutschland sollte uns in Jugendpsychiatrien und Gefängnisse führen, zuerst nach Vechta. Dottore war vor der Fahrt zum Treffpunkt noch nicht fertig, also vertrieb sich Pantalone die Wartezeit mit einem Blick in den Shellatlas, der damals in jedem Auto zu finden war. Erst ging es durch die Szone nach Helmstedt, weiter auf der Autobahn bis hinter Hannover, dann zuerst die B 6, hinter Nienburg die B 214. Leicht zu merken, die B´s addierten sich zu 220, solch einen Mercedes gab es.

Mittwoch, 9. Februar 2011

Fotografie, Druck und Zeichnung

Der Krimkrieg – Türkei, Großbritannien und Frankreich einerseits, Russland andererseits – war in vielerlei Hinsicht ein fortschrittlicher Krieg, wobei sich einmal mehr erweist, wie fragwürdig der Begriff Fortschritt ist. Er war der erste Krieg, der von der Stärke der Industrie der kriegführenden Parteien mitentschieden wurde; zum ersten Mal wurde die verwundeten Soldaten – dank Florence Nightingale – nicht schlecht versorgt ihrem Schicksal überlassen und erstmalig wurde die interessierte Öffentlichkeit durch Photographien unterrichtet. Dabei war eine weitere Premiere, dass der dort tätige Fotograf Roger Fenton offenkundig embedded war, kein Wunder bei dem Umfang seiner Kameraausrüstung.


Jedoch hat Fenton nicht nur vom Krieg berichtet, sondern auch bemerkenswerte Archtitektur- und Personenaufnahmen gemacht. Aber bleiben wir im Nahen Osten. In Skutari (Üskudar ist der asiatische Teil von Konstantinopel) war eine große Kaserne zum Lazarett umgewidmet worden, dort waren auch britische Truppen stationiert. Das Foto soll dort gemacht worden sein.


Es dient immer wieder als Musterbeispiel für die Tatsache, dass damals die Umsetzung von Fotoaufnahmen in den Druck schwierig waren, Graustufen sind eigentlich auch etwas seltenes, wir sehen sie in der realen, natürlichen Welt nur nachts bei Mondschein. Als Beweis für die Schwierigkeiten wird dann das gezeichnete Bild des gleichen Gegenstandes gezeigt. Allerdings stehe ich der Aufnahme skeptisch gegenüber, sie scheint mir ein frühes Exemplar der Montage zu sein. Die Körperschatten haben verschiedene Richtungen, es sind mehr Gewehre gestapelt als Soldaten vorhanden, die Personen sind in der Größe ungleich, wie vermochte es der Fotograf, die doch sehr unterschiedlichen Personen zusammenzutreiben?


Die Unterstützung der Türkei durch England war nicht Ausdruck einer Freundlichkeit, sondern sie entsprang dem politischen Willen, dem jahrhundertelangen Streben Russlands nach einem Hafen am „warmen Meer“ entgegenzutreten. Auch ist die Periode erfüllt von den Versuchen zahlreicher Engländer, in Kleinasien zu graben, was eben nur mit Erlaubnis der „Hohen Pforte“ geschehen konnte, die damals englandfreundlich war. In Smyrna ging zu dieser Zeit der Fotograf Alphonse Rubellin seinem Beruf nach. Seine ruhige Aufnahme der Bucht von Karatasch bei Smyrna gibt es zwei Versionen. Zum einen das Foto, aber eben auch eine gedruckte Wiedergabe, die von einem Zeichner stammt, der das Foto als Vorlage für den Stich benutzte, sie ist überdies noch schön buntisch.

Aber nicht nur für Gazetten mussten die Fotos übersetzt werden, auch Postkarten konnten nur dann kostengünstig hergestellt werden, wenn man die Fotos den Zeichnern (früher, als es noch keine Kommunikationsdesigner gab, nannte man sie Gebrauchsgrafiker) zur Vorbereitung überließ. Auf die schlichte Übersetzung mochten sich diese aber nicht immer beschränken, sie versuchten ihre schöpferische Potenz einzubringen.


Von den drei Kamelen fanden nur zwei Gnade bei dem Zeichner, die unklare Stelle des Fotos zwischen den Booten ist mit glattem Hafenwasser ausgefüllt. Die Schmuckgrafik – mit sich schon chinesisch gerierenden Buchstaben durchsetzt – verweist auf Asien. [Fraglich bleibt nur, ob das werte Fräulein dem schleimig die Verwandten grüßenden Herrn Peters das Jawort gab.]

Aber Herr Rubellin machte nicht nur Fotos in Smyrna und in seinem Studio, sondern auch von den Ausflugszielen, so in Ephesos. Dort sollte John Turtle Woods als Architekt den Bahnhof bauen, verfiel danach aber auf die fixe Idee, den Tempel der Artemis auszugraben, eines der Sieben Weltwunder der Antike, dessen Stand- oder Liegeort unbekannt war. Nachdem es ihm gelungen war, veröffentlichte er darüber 1877 einen Bericht: „Discoveries at Ephesus including the site and remains oft he great temple of Diana; with numerous illustrations from original drawings and photographs.“ Auf Seite 29 ist das Bild eines der Gymansien von Ephesos zu sehen, das offenkundig ein Foto von Rubellin zum Vor-bild hat, hinten ist das sog. Gefängnis des Paulus zu sehen, eine kleine Festung am westlichen Ende der lysimachischen Stadtmauer (eine Wanderung entlang der Mauer zählt zu den zwar anstrengenden, aber schönsten Unternehmungen an der Ägäis, man sieht immer die Stadtanlage, ist jedoch dem Gewimmel in ihr entzogen).


Nun könnte es angesichts der Aussicht auch ein eigenständiges Bild des Zeichners sein, was nicht unplausibel klingt. Als Pantalone 1963 mit dem damals üblichen Festobjektiv von 45 mm in Baalbek den Bakchostempel aufnehmen wollte, musste er immer weiter zurück, bis er schließlich auf einem Säulenstumpf des Jupitertempels landete, von dem aus das ganze Bauwerk aufzunehmen war. Nur, der Säulenstumpf war schon ganz abgetreten, weil eben alle mit ähnlichem Objektiv diese Aufnahme machen wollten – so viel zur Individualität unserer Zeit. Also nehmen wir bei Wood ein anderes Bild: Auf Seite 99 ist der angebliche Serapionaltar wiedergegeben, ein nicht sehr ansprechendes Bild. Es liegen im Vordergrund einige behauene Steine, hinten grüßt der südliche Rest des Stadions. Das Bild ist nur für denjenigen von Bedeutung, der sich für den Altar interessiert
.

Offenbar hat Rubellin für den Ausgräber gearbeitet, was sich mit weiteren Beispielen belegen ließe. Andere Ausgräber waren auf gewerbliche Fotografen nicht angewiesen, sie hatten eigene. Als Newton in den Jahren 1856 bis 1857 in Knidos, Halikarnassos, Lagina und Didyma wühlte und viele der ergrabenen antiken Reste in seine Heimat überführen ließ, da hatte er von den ihm zugeteilten britischen Matrosen die Korporäle Spackman und Mc Cartney ausgewählt, die brav alles ablichteten, was der Meister für wichtig erachtete. Veröffentlicht wurden Lithografien, die fotografischen Vorlagen aber blieben erhalten.


Lagina schien Newton jedoch nicht spektakulär genug, so wurde im Juli 1857 Lagina an Leutnant Smith delegiert, der Korporal Spackman mitnahm. Der Vorteil der Zeichnung gegenüber der Fotografie ist, dass sie klarer die wichtigen Teile des Bildes darstellt, die botanische Wirrnis wird vermieden. Der Leutnant hat aber seine Sache gut gemacht, sein Plan ermöglichte noch heute eine Orientierung trotz der durch die nachfolgenden Ausgrabungen stark veränderten Topografie. Smith bezeichnete nach den wenigen, aus der Erde ragenden Teile die Propyläen als gate. Heute wissen wir mehr. Auch kann man eine Aufnahme aus dem gleichen Winkel nicht mehr machen, das Erdreich ist eben abgegraben. An der unteren Säulentrommel kann man an dem unterschiedlichen Bewuchs der Flechte erkennen, die unglaublich langsam nur sich ausbreitet, wieweit sie lange in der Erde steckte, die obere Trommel ist anastelosiert (dazu später einmal mehr).


Knidos, also das an der Spitze der Halbinsel liegende hellenistische Knidos, hat offenbar kein Glück mit seinen Ausgräbern. Nach dem Schatzgräber Newton scheiterte dort die mit sehr viel Phantasie ausgestattete Ausgräberin Love, die ungekonnten Anastelosismen des ansonsten verdienstvollen Archäologen Ramazan Ozgün waren für die türkische Antikenverwaltung Vorwand, ihn als Grabungsleiter abzulösen. Auch Newtons Sein bestimmte sein Bewußtsein. Umgeben von Seeleuten agierte er gerne mit seemännischem Gerät, Seilzüge, Hebebäume, Flaschenzüge ermöglichten das Bergen und den Transport der Funde, so auch des Löwen in Knidos. Stolz steht er, der sich gerne als „keeper of he greek and roman antiquities. British Museum“ bezeichnet, hinter dem Löwen, so als hätte er ihn erlegt. Genauso neckisch liegt auch der Tiger auf einem Deckchen, ihn hatte der Vizekönig Curzon in Indien geschossen. Der Unterschied ist nur, dass Curzon von seiner Gattin begleitet wird. Die geringe Tiefenschärfe der Kamera bedingt, neben dem Wackler von Newton, dass nur der Löwe und ein Schubkarren auf der Aufnahme scharf sind, dagegen ist auf der Lithografie alles durchgezeichnet, sie sind aber auch von „the Lithrs to the Queen“ verfertigt.


Das andere der sieben Weltwunder, das in Kleinasien liegt, hatte schon früh – zum Leidwesen der heutigen Archäologen – Interessenten. Zuerst die Johanniter, die 1413 mit dem Bau der Burg begannen. Das Baumaterial lieferte das Mausoleum, das bis zu diesem Zeitraum nur durch Erdbeben beschädigt worden war. Als die Johanniter in die Grabkammer eindringen wollten, verlegten sie feierlich das Unternehmen auf den kommenden Tag. Da aber war das Grab schon nächtens geplündert worden. Was du heute kannst besorgen, das … . Der nächste Zugriff erfolgte durch Newton, der vorzeigbare Statuen suchte; war er doch der keeper!

Eine Überraschung hält die von den Johannitern gebaute Burg bereit: Es ist die Kirche, die im spätgotischen Stil errichtet wurde. Wer zuvor noch nicht im levantinischen L´Outre Mere gewesen ist, der verbindet Gotik mit kühler Landschaft und steht plötzlich leicht schwitzend vor der Kapelle, die auch noch ein Minarett hat, alte Sehgewohnheiten erscheinen unpassend. Die Zeichnung steht der Fotografie nicht nach.

Im Mäandertal liegt auf einem Hügel Priene, schon früh hatten Engländer von der Stätte berichtet. Dann kam Pullan und grub den Tempel aus, der gleichsam ein Muster für den ionischen Tempelbau ist; er hat nicht die ungeschlachte Größe der Bauten von Didyma und Ephesos. Der Ornamentreichtum der ionischen Ordnung ist zuückhaltend-schlicht. Die Aufnahme zeigt offenbar den Zustand nach dem Fund der goldenen Weihemünzen, die bewirkten, dass alles Volk zur Ruine strömte und „Chrysos“ bzw. „Altin“ suchte, als man es nicht fand, wurden die Steine zertrümmert, sonst würden sich doch die Europäer nicht so für die Reste interessieren. Die Fotografie ist so präzise, dass eine Vergrößerung auf 50x60 ohne Einbuße an Schärfe möglich ist, dagegen ist der seinerzeit nach der Fotografie erstellte Druck matschig und unklar.


In dem gleichen Band ist die nachfolgende Zeichnung abgedruckt. Es ist keine Frage, dass es keine fotografische Aufnahme geben kann, die einen derartigen Erläuterungsinhalt hätte. Nicht die Wirklichkeit wird versucht wiederzugeben, sondern die Steigerung in der Erkenntnis des Gegenstandes geschieht durch Reduktion. Graustufen gibt es eben am Tage nicht und nachts sind nicht nur alle Katzen, sondern auch alle Tempel grau, sepiabraun auf den damaligen Fotos tagsüber.


Seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ist Priene eine deutsche Heimstatt. Die Annäherung des osmanischen Reiches an das Kaiserreich ermöglichte Humann die Grabungserlaubnis für die Stätte, die familiären Beziehungen dem jungen Theodor Wiegand die nötige Unterstützung nach dem Ausscheiden des Retters des Pergamonaltars vor dem Kalkbrenner. Ceterum: Pantalone und Wiegand haben eine – im jeweiligen Lebensalter wichtige – Gemeinsamkeit, sie sind an der gleichen Schule gescheitert, allerdings mit der zeitlichen Distanz von 63 Jahren. Die Ausgrabung des “kleinasiatischen Pompei“ hinterließ eine geordnete Steinwüste, die die Natur sich langsam zurückeroberte, heute kann man durch eine Parklandschaft mit antiken Ruinen wandeln. Aber vor Wiegand und Humann gab es den Vater der deutschen Spatenarchäologie, Heinrich Schliemann. Er hatte als Kaufmann viel Geld verdient, zuerst im Krimkrieg (s.o.) dadurch, dass er mit Schiffen, gefüllt mit dringend benötigten Vorprodukten für die russische Kriegsführung, die Seeblockade der Briten umging; dann in Kalifornien im Goldrausch, wo er eine Bank eröffnete (wie schreibt doch Brecht im Dreigroschenroman: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“). Schon 1874 veröffentlichte er einen „Atlas trojanischer Alterthümer. Photographische Berichte über die Ausgrabungen in Troja“, der mit vielen Fotoaufnahmen versehen war. Angesichts der Gegnerschaft der etablierten Wissenschaft in Deutschland wollte er sicherlich durch authentische Belege, das schienen damals eben Fotos zu sein, seine Funde unbestreitbar präsentieren.


Diese Art der Darstellung setzte er auch dann fort, als die Anerkennung seiner Leistungen sich mehr und mehr auch in Deutschland breit machte. In dem Buch, dass seine Grabungen und deren Funde in der Argolis darstellt “Mykenae: Bericht über meine Forschungen und Ertdeckungen in Mykenae und Tiryns“ aus dem Jahre 1878 findet sich das obige Bild. Es ist nicht auszuschließen, dass Schliemann diese neue und kostenträchtige Art der Publikation durch Druckkostenbeiträge sponserte. Aber auch mit Geld konnte man damals schon nicht alles haben. Am Ende des Buches ist ein aufklappbares Panorama eingebunden, das wiederum gezeichnet ist. Auch von den Vor-bildern dazu haben sich einige erhalten, der Vergleich zeigt ungefähr das linke Drittel des ganzen Bildes.


Auf der rechten Variante ist die früh matronisierte Sophia Schliemann in Rot zu sehen, die rundliche Person ist 24 Jahre alt (und nicht schwanger). Mit blau ist eine Person angelegt, bei der es sich um den verzweifelten Kommissar der griechischen Regierung handeln soll, der angesichts der rüden Grabungsmethoden der Eheleute Schliemann (auch sie bestimmte auf der Grabung mit und war beispielsweise diejenige, die das sog. Grab der Klytaimnestra ausgrub) eigentlich immer wieder eingreifen müsste, aber wegen des Rufes von Schliemann und der Ergiebigkeit seiner Grabung ständig zurückhuft. Das grüne Dreieck ist die Rückseite des Steines über dem Tor mit den Löwen. Zur Strafe für seine Lästigkeit ist er auf der Zeichnung auch ganz winzig dargestellt. Aber, warum eine Zeichnung? Naturgesetze kann man im Gegensatz zu menschlichen nicht mit Geld überwinden. Alle Objektive verzerren zum Rand hin; wenn man früher ein Panorama machen wollte, konnte man eigentlich nur das innere Neuntel des Bildes verwenden, zum Rande hin weiteten sich die Winkel. Erst mit schönen Algorithmen kann man nun harmlos seine Panoramen knipsen.

„Na, Dottore, was meinst Du denn?“
„Das ist charakteristisch für diesen venezianischen Handelsmann, weitschweifig, gelehrt tuend und eitel, ist doch peinlich, wie der immer seine eigenen Fotos dem Betrachter unterjubelt!“
„Dir kann wohl Pantalone kaum etwas recht machen!“
„Niemandem, daher auch mir nicht. Schon der Titel ist anmaßend, darüber könnte man ein mehrbändiges Werk schreiben. Nichts von Duotoneverfahren, nichts von Lichtdruck, nur Bilder aus archäologischen Büchern, als gäbe es sonst nichts auf der Welt. Aber, wer selbst alt ist, schreibt über Altes. Bei mir ist das anders!“

Für Wolfgang Deichsel


Als er beim letzten Mal noch die Kraft hatte, die Zeit zu verlängern, die auf Erden uns gegeben ist, da konnte Jörg, der bis zu seinem Ende nie erfahren hat, dass er das Vorbild für den Fuchs - Perdrigo abgegeben hatte, bei zwei Besuchen diese Bilder von ihm machen.

Das erste Opus von ihm, ca. 1958 in Keller eines Hauses im Dambachtal, war das des immer schneller werdende "Du" "Du" ... des verliebten Paares, bis es in Biebrich/Rheinufer aus dem Obus ausstieg.

Ihn herumkutschieren im Mercedes 300 Cabriolet in Berlin, sein Hüten der Eidechse unter der Mütze für anderthalb Tage, die Burgfestspiele in La Rouvierette, sein immer neues Bauen von Schreibkästen am jeweiligen Aufenthaltsort, die Bitte um Wasser nach den Plätzchen, all das wird mindestens so lange existieren, wie ich noch lebe. Nun ist nun werklisch kaa Sopp mer do, nix verdribbelt un nix verschütt.

Die Zeit holte auch ihn ein: Wer weiß noch, dass früher in Steckdosen kleine Lamellensicherungen waren, nur noch Bubi Menger. Angesichts von Skype sind Besuche bei Frau Sudermann nicht mehr nötig. Aber immer wird das gefrierende Lachen über die eigene Alltäglichkeit erhalten bleiben, grausam, grausam!

Die japanisch anmutende Zeichnung ist eine Radierung von ihm, sie gibt Dickschied wieder, aber ist überall, wo Wald und Berge sind, aber doch nur in Dickschied. Tschüss, Wolfgang.

Donnerstag, 3. Februar 2011

Pascal Sebah I

Seine Lebensdaten kann man nachlesen, seine Bilder muss man nachleben. Da ist zuerst einmal die Brillanz seiner Bilder einschließlich der meist fehlerfreien Entwicklung, allenfalls Paul de Granges arbeitete damals so sauber beim Entwickeln und in der Dunkelkammer. Als Beispiel nehme ich das Bildn “N. 22 L´ Akropole prise du Pnyx“, das im Bilderschatz einer amerikanischen Universität ruht. Es wird von ihr vorzüglich gescannt und ohne anal-fixierte Eigentumsansprüche via Wasserzeichen ins Netz gestellt (da können die sich vom DAI mal dran orientieren! [Zumal die amerikanischen Universitäten privat finanziert sind, während das DAI am Tropf des Außenministers hängt]). Die Größe der Datei ist 3897x3045 Pixel.
Das hier wiedergegebene Bild ist verkleinert und im Dunkelbereich aufgehellt. Aus dem aufgehellten „Original“ habe ich die eigentliche Akropolis ausgeschnitten, die Fläche ist gerahmt.
Wenn man nun den Ausschnitt in die hier verwendete Größe von 1800 Pixel in der Breite genauer betrachtet, so ist die Vergrößerung immer noch scharf, nur hat Sebah eben kein Teleobjektiv benutzt, wie am Vordergrund und den Menschen im Mittelgrund erkennbar.
Klar sind das Beulétor, die Propyläen, der Niketempel, der Frankenturm und der Tempel der jungfräulichen Athene zu sehen. Eine Aufnahme, mit der man heute sicherlich das Lob seiner Kumpels erhaschen könnte. Vom Pnyx bis zu den Stufen der Propyläen sind es ziemlich genau 500 m. Diese technische Kunstfertigkeit des Sebah ist die Grundlage der Faszination seiner Bilder.

Nun trifft man leider seine Bilder bzw. deren Daten im Netz nicht so vorbildlich an wie bei diesem. Hier das Gegenbeispiel dazu:
Der Rahmen ist überflüssig, das Bild hat offenbar jemand mit einem Datterich beim Kaffeetrinken betrachtet. Zuerst der Rahmen weg.
Die übriggebliebene Datenmenge ist relativ klein, man stößt also bei weiterer Nachbearbeitung rasch an die Pixelgrenze. Störend sind vor allem die Flecken und andere Veränderungen am Bild auf gleichfarbigen Flächen, hier besonders im „Himmel“. Nun darf man aber nicht alles gleichmäßig einfärben, sondern es erweist sich als richtig, eine vorhandene Teilfläche mit dem Kopierstempel zu verbreiten. Weiterhin sind in der kleinflächigen Bereichen Dreckbatzen und ähnliches weg zu retuschieren.
Die Farbtemperatur des jetzt erhaltenen Bildes ist von vielerlei abhängig, so auch vom Licht des Scanners oder gar der Beleuchtung beim Abfotografieren, nach der Exifdatei scheint aber das Bild gescannt zu sein. Also muss eine Tönung erreicht werden, die der entspricht, die Sebah wohl gegeben hat oder hätte, wenn er das Bild in Konstantinopel entwickelt und vergrößert hätte.
So ist dann nun endlich ein Sebahbild wiedererstanden, das auch die Zufriedenheit des Meisters errungen haben könnte. Frei nach Goethe: Was du erlangst aus dem Gewirr, bearbeite es, um es zu besitzen (und sich an ihm zu erfreuen). Das aber versteht dieser Pfeffersack aus Venedig nicht.

Mittwoch, 2. Februar 2011

Hotte und der Hindukusch

Der Köhler war das, was man in Südhessen e trokke Bredsche nennt. Er hat wenigstens nicht frohgemut gesungen oder ist leutselig gewandert. Die Ironie an dem Bub von der Merkel war nur, dass er dann, als er einmal nun wirklich die Wahrheit sagte, prompt von der politischen Entourage im Regen stehen gelassen wurde, was er aber mit Würde handhabte. Denn ein im Zeitalter des Finanzkapitalismus agierendes Exportland muss tatsächlich am Hindukusch verteidigen, dass die dortigen Warlords und zukünftigen Drogen-Agas Mercedes fahren und Siemensgeräte kaufen können.

Politiker sind Menschen, die meistens klug sind, das aber sich erst leisten können, wenn sie nicht mehr Politiker sind. Das ist mir zuerst bei dem ehemals Regierenden Bürgermeister Albertz aufgegangen, der nach seinem Ausscheiden aus dem Amt ein respektvolles Dasein führte. Unser Altkanzler Schmidt, nun auch solch eine Respektsperson geworden, meint zu recht, dass alle Invasoren in Afghanistan das Scheitern ihrer Vorgänger nicht beachteten. Nach den Engländern, den Russen müssen nun die Natoländer erfahren, dass dieses Land nicht mit herkömmlicher Kriegsführung erobert, geschweige denn gehalten werden kann.

Also geht es darum, unter Wahrung des Gesichts – wir sind in Asien – sich aus dem Schlamassel zurückzuziehen, so viele Mercedes werden die sowieso nicht kaufen! Statt nun klar das Scheitern offenzulegen, wird weiter geschossen und gestorben. Dabei ist selbstverständlich zu berücksichtigen, dass jedes Handeln Verantwortung mit sich bringt. Wer in ein fremdes Land unter welchem Vorwand auch immer einmarschiert, zerstört dort soziale, wirtschaftliche und politische Strukturen, auch tötet er Menschen. Er kann, aber sollte sich beim Scheitern seines Unternehmens nicht verdrücken mit erlogenen Phrasen („Wir legen die Verantwortung für das Land in die Hände der einheimischen Kräfte“ – beiseite gesprochen: Die schaffen das nie!)

So haben wir Natoländer Afghanistan noch etwas mehr zerstört, aber der innenpolitische Druck in den Ländern bewirkt, das wir so tun wie Pontius Pilatus. Lügen haben eben lange Traditionen.

Dienstag, 1. Februar 2011

Angriff auf den Geschmack

Als in Afrika von dem Unternehmen erfolgreich dafür Reklame (das Wort ist treffender als das schmeichelnde "Werbung") gemacht wurde, besser Babynahrung zu füttern als die Brust zu reichen, hatte das bekanntlich schwere gesundheitliche Folgen. Aber der Konzern hat nichts gelernt, kann das auch nicht, weil die Optimierung des Kapitals im Nahrungsmittelbereich fast unmittelbar die Interessen der Ernährten schädigt.

Es geht um etwas, was vorab harmloser ist.

Die Türkei ist ein aufstrebendes Land - zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht - , das lockt die Konzerne an. Nun hatte die Türkei eine Tabakindustrie, die darauf basierte, dass im Land Tabak angebaut wurde. Die Ausgrabungen in Milet konnten immer erst stattfinden, wenn die Bauern die Tabakernte eingebracht hatten, vorher konnnten sie nicht für die Ausgräber arbeiten. Dies ist lange vorbei. Die Abschottung der Türkei von "american blend tobacco" wurde durch unterstützten Schmuggel unterlaufen nach dem Motto: "Was verboten ist, das macht uns gerade scharf". Bei Tabak ist der Genuss sowieso schädlich, nur die einheimischen Tabakbauern und die türkische Zigarettenindustrie waren angeschmiert. Nun ist ein anderes Landesprodukt dran.

Wer sich in der Türkei nicht in die Hotels in Pamphylien verfrachten lässt, sondern nach Freude und Plan durch das Land reist, kann das Vergügen haben, in Lokantasi´s zu essen. Es gibt sie noch, die kräftige, zugleich feine türkische Küche. (Genauso wenig wie Pizza ein Bestandteil der seriösen italienischen Küche ist, genauso ist Döner ...). Zu den Gerichten wird fast immer der wohlschmeckende Youghurt gereicht, der im Gegensatz zu der in Deutschland angebotenen weißen Masse, die noch mit "mild" sich selbst diffamiert, einen Eigengeschmack hat.

Dolma: Gefüllte Paprika, Tomate und Aubergine mit Salat sowie Youghurt (oben rechts)

Was hat aber nun Nestlé damit zu tun? Gemach, gemach! Noch schlimmer als deutscher Joughurt sind die in kleinen Gebinden angebotenen Gesundheitsdrinks, die einen jung machen sollen und ungeahnte Spannkraft sowie geregelte Verdauung verheißen. Genau für diesen Mist macht nun Nestlé im Heimatland (Bulgarien verzeih mir!) des Joughurts Reklame, wobei die weiblichen Mitglieder der aufstrebenden Schicht sicherlich darauf hereinfallen werden. Kein Verbechen an den Kindern wie in Afrika, aber eins am guten Geschmack, in doppelter Hinsicht.

Irgendwann müsste der Konzern doch die mit dem WW II begründete Enteignung des Nescafepatents durch die USA verwunden haben!