Samstag, 29. Januar 2011

Die Sage vom Schlaf am Pferdearsch

Im Jahre 1958 unternahm eine Gruppe von 36 Roulettenburger Gymnasiasten, zu denen ich zählte, eine selbstorganisierte Reise nach Griechenland und der Türkei. Anfangs- und Endpunkt der individuellen Reise war Thessaloniki, bis und von dort benutzten wir gemeinsam die Eisenbahn, dort trennten wir uns. Anschließend reisten wir meist per Anhalter in Zweiergruppen.
Auf der Rückfahrt von Istanbul mußten wir über Edirne durch Nordgriechenland trampen, was damals wegen des geringen Verkehrsaufkommens ein mühseliges Unterfangen war. So erbarmten sich teilweise sogar die Busfahrer, wenn sie den einen oder anderen von uns nach Stunden immer noch an der gleichen Stelle sahen. Mein Begleiter und ich hatten einen günstigen Lift, wobei der Fahrer eines Lastwagens versprach, uns am Endpunkt seiner Fahrt in Kawalla an einen Bekannten weiterzugeben, dem er Ware nach Saloniki auf dessen Laster zu übergeben habe. So geschah es, allerdings war der übernehmende Fahrer unwirsch, er hätte uns sicherlich freiwillig nie mitgenommen.

Donnerstag, 27. Januar 2011

Das unterdrückte Passiv als Zeichen der Unterdrückung

Der Gebrauch des Passivs ist in der deutschen Sprache seit geraumer Zeit nicht mehr erwünscht, so jedenfalls bedrängen alle Leithammel in der Presse ihre Schäfchen. Dabei sei daran erinnert, dass Hammel kastrierte männliche Schafe sind, richtige Kerle bei den Schafen sind Schafböcke.

Dies führt zu eigenartigen Formulierungen:

„Auf schneeglatter Fahrbahn geriet das Fahrzeug ins Schleudern und prallte gegen einen Baum. Der Fahrer verletzte sich schwer.“

Verletzen ist eine Tätigkeit, bei der der Handelnde die körperliche Integrität eines anderen beeinträchtigt. Bei gewissen psychischen Leiden neigen die Kranken dazu, sich selbst zu verletzen, ansonsten geschieht „sich verletzen“ durch – hessisch ausgedrückt – Dappigkeit. Diese Verwendung des Verbes „verletzen“ nennt man reflexiv. Der Fahrer in dem PKW hat sich aber gar nicht selbst verletzt, sondern er wurde Opfer der Schneeglätte (und seiner Unaufmerksamkeit). Er wurde verletzt und zwar durch die Innenteile seines Autos. Aber das schreibt man nicht.

Noch absurder wird das, wenn jemand mit einem Orden geehrt wird. Das ist nun geradezu das Musterbeispiel für Inaktivität (nach Bismarck gibt es verdiente, erdiente, erdienerte und erdinierte Orden), also müsste es heißen: Das Verdienstkreuz wurde XY verliehen. Das werden Sie nie lesen, es heißt: XY hat das Verdienstkreuz verliehen bekommen.

Immer, wenn man ein Verb in Verbindung mit „bekommen“, „erhalten“, „kriegen“ liest, dann wird mühselig Passiv umgangen. Das ist aber nun keine Macke der Medien, sondern Ausdruck der sozialen Situation. In dem gleichen Maße, in dem jeder von uns zum Objekt des Handeln der Allgemeinheit wird, in diesem Maß muss dies verleugnet werden, man ist schließlich – so die Ideologie – als individueller Bürger immer Subjekt, damit grammatikalisch im Nominativ und kann nicht in den Objektkasus des Dativ abgleiten, realitätsverleugnende Sprachgestaltung als letzte bürgerliche Fiktion.

Sprache ist eben Ausdruck eines Bewusstseins, das der Medien offenbart sich so schon leicht.

Montag, 24. Januar 2011

Nationalsozialismus und Altertumswissenschaften


Auf dem Bild ist verschiedenes zu sehen:

In der Mitte unter der Reichskriegsaflagge steht der Oberstleutnant Gerhardt, der seinem italienischen Waffengefährten, Commodore Zangini, an den Spuren des Tempels erläutert, wie erfolgreich doch die deutsch-italienische Waffenbrüderschaft seinerzeit gewesen sei: Als die Venezianer Athen belagerten, hatten die Türken die Akropolis befestigt, ihr Pulvermagazin war im Parthenon, wobei sie glaubten, die Europäer würden dorthin nicht schießen. Die venezianische Artillerie unter der Leitung eines lüneburgischen Leutnants zielte und traf den Tempel, der förmlich in die Luft flog. Dies war in der Nacht vom 26. auf den 27. September 1687.

Die andere, rechts im Bild sichtbare Gruppe wird von dem Kriegsverwaltungsrat Bierbichler und seiner Frau gebildet, die wie meine Tante Käthe aussieht. Die Eheleute lassen sich von einem beflissen dastehenden griechischen Fremdenführer den Tempel erläutern. Bierbichler hatte seine Frau „auf dem kleinen Dienstweg“ nach Athen kommen lassen, wobei ihm der Geschwaderchef Geiselhöfer behilflich war (gegen Lieferung von 20 t Treibstoff), hat aber selbst keinen Urlaub, deshalb hat er noch seine Aktentasche dabei. Frau Bierbichler ist zwar enttäuscht, damals 1940 in Paris konnte man schöner einkaufen, aber die Sonne bräunt wenigstens.

Stammte das objektiv gut gestaltete Bild nicht von einem namhaften deutschen Altertumswissenschaftler, der während des Dritten Reiches als Wegweiser tätig war, so wäre es nichts weiter als eines der vielen Kriegsbilder. So aber belegt das auf mich überkommene Diapositiv negativ den Versuch, Arier- und Hellenentum miteinander zu verbinden, wie sonst würde die Reichskriegsflagge so gezielt in der Interkolumnie flattern. Das erscheint uns heute als peinliche Verirrung. Aber, die Verirrungen des Nationalsozialismus waren in anderen Bereichen viel schlimmer. Es gibt eben, wie Horkheimer bemerkte, nichts Richtiges im Falschen.

Donnerstag, 20. Januar 2011

Würde und Alltäglichkeit

Im Jahre 1960 fuhren Pantalone und Dottore auf einer Zündapp DB 200 – Baujahr 1949 – nach Morea, wie auf dem Foto ersichtlich. In Napoli di Romania, heute heißt der Ort Nafplion, w(s)ollten wir endlich die versprochenen Postkarten an Verwandte und Freunde schreiben. Morgens setzten wir uns in ein Kafeneion am breiten Kai, wohl mit Postkarten versorgt. Der Inhaber des Cafe`s hieß Ioannis, er saß am Rande des Kais bei befreundeten Fischern, die dort ihre Netze flickten. Seine Frau werkelte hinter der Theke und rief in regelmäßigen Abständen mit klagender Stimme „Janiii“, der aber unterhielt sich lieber weiter. So vergingen Stunden, wir tranken Ellinko und Portokallada, freuten uns des Lebens, schrieben jedoch keine der Karten. Der Ablauf der Zeit vermittelte sich uns durch die vergeblichen Rufe der Wirtin.

Das letzte Waldeckfestival

Das Ende des gemütlichen Waldeckfestivals bedarf der Erläuterung. Allherbstlich fanden sie statt, das letzte 1969. Es wurde umfunktioniert in Sinne einer „alternativen“ Kultur - als ob es mehr als eine gäbe, die eben auch ihre Alternative mit enthält. Statt kritisch zu singen und dem Gesang kritisch zuzuhören, sollten die Barden und das Publikum über die Veränderung der Gesellschaft diskutieren. Neben der Veränderungswut des SDS, die sich auch in internen, selbstzerfleischenden Diskussionen äußerte, gab es zwei Ereignisse, die zu dieser Zeit geschahen. Zum einen war dies der Biafrakrieg, der durch religiöse und stammesmäßige Differenzen verursacht, von diversen Ölproduzenten unterstützt, in Nigeria tobte. Die Weltpresse war voll von Bildern dort verhungernder Kinder. Zum anderen: Ho Chi Minh starb am 3.9.1969.

In Darmstadt gastierte eine Wiener Theatergruppe, jene "First Vienna Working Group", die - das bürgerliche Theaterpublikum provozierend - aufführte: „Biafra:Hunger“. Die Darbietung bestand darin, dass die Agierenden an einem langen Tisch aufgereiht saßen – das Abendmahl von Leonardo da Vinci nachahmend -, opulent aßen und ab und zu zwischen Rülpsern „Biafra“ sagten und traurig den Kopf schüttelten. Das Publikum fiel darauf herein, war empört und steigerte sich in seiner, die tatsächlichen Verhältnisse nicht ändernden Aufregung so weit, bis zur Zufriedenheit der Theatergruppe die Bühne gestürmt wurde.

„Au, fein,“ dachte sich der SDS, „diese Bürgerschrecks laden wir uns auf die Waldeck ein!“ Gesagt, getan. Während des Festivals kam die Nachricht vom Tode Ho Chi Minhs. Diskussion darüber, ob man nun das Festival abbrechen solle, müsse. So gerade rang man sich durch, trotz des Verlustes des Genossen Ho weiterzumachen.

Als nun die Wiener Gruppe auftrat, wurde wieder ein vorzügliches Essen aufgetragen, wieder allgemeines Gemurmel auf der Bühne, aber kein „Biafra“. Nach einiger Zeit - schon quälend lange hatte es gedauert - erhob sich einer der Darsteller und sagte: „Wir spielen heute nicht «Biafra:Hunger» sondern «Waldeck:Diskussion» “. Weiteres endlos lang erscheinendes Essen und Gemurmel auf der Bühne. Dann stand wieder einer der Darsteller auf und sagte:

„Auch der gute Onkel Ho
geht nun nicht mehr auf das Klo!“

Das war nun zu viel, die Söhne und Töchter der Theaterstürmer in Darmstadt taten es ihren Eltern nach und auch sie besetzten hier die Bühne.

Es ist eben ein langer Weg bis zu einem verändertem Bewusstsein – und Humor war nie die Stärke der deutschen Linken.

Gewidmet demjenigen, der so häufig mit Diskussion bestraft wurde.

Dienstag, 18. Januar 2011

Das Recht an und die Wahrheit auf alten Aufnahmen

Wie viele gleichartige Institutionen zeigt auch das Architekturmuseum der TU in Berlin alte Fotografien, die man sich im Netz betrachten kann. Sie sind in PDF-Dateien eingewoben, wobei das Herauslösen keine allzu großen Schwierigkeiten mit sich bringt.

Reiseziel im April

Wer im April sicher in die Sonne will, kann beispielsweise eine einwöchige Reise für € 149 in die Türkei buchen, er wird dabei nicht nur durch Kappadokien gehetzt, sondern er hat auch das Vergnügen, in einer „Teppichmanufaktur“, in einem Schmuckladen und in einem Ledershop seine Standfestigkeit gegen involvierenden Kaufdruck zu beweisen. Ist er nicht orienterfahren, so wird er unterliegen.
Man kann aber auch für relativ kleines Geld sich alleine, also selbstorganisiert auf die Reise begeben, ich schlage Lykien vor. Man landet in Antalya, hat vorher dort ein Auto gemietet und fährt sofort in westliche Richtung aus dem „Land aller Stämme“, aus dem mittlerweile überlaufenen Pamphylien weg. Lykien hat hohe, teilweise bis in den Mai hinein mit Schnee bedeckte Berge. Unten liegen antike Reste, es ist so wie im Allgäu im Juni, nur eben toller. Als Vororientierung kann man die einzelnen Stätten in „Histolia“ besehen und danach seine Route einrichten. Das Tal des Xanthos beginnt mit Tlos, wasserreich und grün. Es folgen Ausflüge nach Pinara, Sidyma, Xanthos, Letoon, Pydna und Patara, nur mit den Hotels haperts es etwas im nördlichen Bereich des Tales. In Xanthos ist in der Bischofskirche meist der schützende Sand über dem opus sectile verweht, in Letoon kann man die Metamorphose der Bauern in Frösche (quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant) nachvollziehen, ein Theater gibt es auf einer ehemaligen Insel auch.
Die Südküste Lykiens wird von Myra, der Bischofssitz des Heiligen Nikolaus, beherrscht. Die Türken waren in Not: Jeder Russe, der in die Türkei reist, will dorthin, wo der große Heilige tätig war. Aber wie nennt man ihn korrekt? Agios Nikolaos wäre richtig, ist aber zu sehr griechisch. Aziz Nikolas ginge, aber Aziz ist der Zusatz zu einem moslemischen heiligen Mann, also geht das doch nicht. Man fand eine Mischung zwischen dem amerikanischen Weihnachtsmann, dessen französischer
Umformung und einem vertrauten türkischen Namensbestandteil, es lacht einen in Myra eine pausbäckige, weißbärtige Gestalt an, die sich Baba Noël nennt. Ich rege die Vermeidung dieser Konfrontation an, fahren Sie das Tal der Myros aufwärts und schauen sich in dem großen Quertal dahinter die Kirche von Dere Agzy an; ich habe dort meiner Leidenschaft gefrönt, alte Photos nachzustellen. Das kopierte Bild wurde 1854 aufgenommen.
Alle übrigen Ziele müssen Sie selber ausfindig machen. Vielleicht haben Sie sogar Glück und treffen mich dort!

Ceterum: Dieser Text ist, wie man leicht am lateinischen Zitat erkennen kann, von Dottore!!

Samstag, 15. Januar 2011

Die deutsche Nationalhymne(n) (Ein Blick in Literaturgeschichte und Historie)

Wie bei allen vernünftigen Dingen, stellt ein deutscher Autor erst einmal die Frage nach der Vergangenheit. Was ist eine Hymne? Sie leitet sich von „Hymnus“ ab, wobei damit im Griechischen eine Sammelbezeichnung gemeint ist, die allerlei Dichtungen und Gesänge umfasst, die zumindest in späterer Zeit nur noch im Sakralbereich verwendet wurden. Die Herkunft des Wortes ist nicht gewiss, nicht unwahrscheinlich ist der Zusammenhang mit dem Hochzeitsgott, wobei aus Anlass einer Vermählung im antiken Griechenland gerne Feste gefeiert wurden, trotz der relativ geringen Einschätzung der Frau in der griechischen Gesellschaft. Der Name des Hochzeitgottes ist Hymenaios, der uns noch über die membrana virginalis, dem Jungfernhäutchen, bekannt ist, das üblicherweise damals dem Fest zum Opfer fiel. Von dem fröhlichen Gesang, der sicherlich zu Schreittänzen oder ähnlichen Bewegungen gesungen wurde, entwickelte sich also zunehmend ein Lied, was im sakralen Kult gebraucht wurde. Am bekanntesten sind aus der griechischen Literatur die sogenannten homerischen Hymnen, die – nicht von Homer stammend – in preisender, also hymnischer Weise die Götter des Olymp besingen.

Dies also ist die Wurzel des Wortes selbst.

Wer eine der in den Juni verlegten Geburtstagsfeiern der Königin Elisabeth II. im Fernsehen, auch nur in Teilen, gesehen hat, wird sich daran erinnern, wie die Leibgarde der Königin in einem eigenartig gemessenen Schritt gegangen ist, der ein Verzögerungsmoment enthält, der dem gleicht, der bei der Reitdressur von atemlosen, verhalten sprechenden Fernsehreportern als „Schwebemoment“ bezeichnet wird, also ein Innehalten in der Bewegung. Dieser Paradeschritt zeigt seine Untauglichkeit für das normale Vorwärtsbewegen der Soldaten, wobei festzuhalten bleibt, dass allen solchen Paradeschritten diese Eigenschaft zukommt. Der deutsche Stechschritt, der zuletzt nur noch von der „Leibstandarte“ „Felix Dschersinsky“ gebraucht wurde, ist ebenso wenig wie der russische Parademarsch oder der Schleichschritt der Dänischen Garden geeignet, irgendwelche Laufleistungen der Infanterietruppen zu bewerkstelligen, allenfalls der Laufschritt der Bersaglieri erscheint kriegstauglich. Da geht man lieber in einem „ruhig, festen Schritt“, wie dies seinerzeit von einem sozial verunglückten Pfarrerssohn und Zuhälter den Sturmabteilungen unterstellt wurde.

Wenn man nun dazu einen beflügelnden Rhythmus finden will, so bleibt eigentlich nur ein Versfuß übrig, das aus zwei Einheiten besteht, für jeden Schritt einen. Die eine Einheit muss, um etwas Belebung in das Gehen zu bringen, betont, die andere unbetont sein. Sprechen wir die betonte mit dàm aus, so die unbetonte mit da. Wenn man also losmarschiert, so marschiert es sich am besten mit dàm da dàm da, ungünstiger mit da dàm da dàm da dàm. Entsprechend haben die Griechen den ersten Versfuß (dàm da dàm da) den Gehenden, den Trochäus genannt, den anderen (da dàm da dàm da dàm) den Jambus, den Hinkenden.

Marschieren kann man also besser gehend als hinkend.

Dies haben dann auch die römischen Truppen so gehandhabt, allerdings machten sie sich bei dem Triumphzug Caesars um 50 v. Chr. durch Rom über ihren ansonsten verehrten Feldherrn lustig. Nach Sueton, dem intriganten und spöttischen Historiker, sangen sie ungeniert:

Gállias Caesár subégit, Nícomédes Caésarém.
Écce Caésar núnc triúmphat, quí subégit Gálliás
Nícomédes nón triúmphat, quí subégit Caésarém

[Die Gallier unterwarf Caesar, Nikomedes den Caesar.
Schaut auf Caesar, nun triumphiert er, er besiegte die Gallier.
Nicomedes triumphiert nicht, obwohl er Caesar unterwarf.]

Hintergrund ist die Legende, Caesar habe in jungen Jahren bei einem Besuch in Bithynien dem homosexuellen Nicomedes, einem hellenistischen Herrscher, als Lustknabe gedient.

Der Endreim ist nun eine, auch eben nicht in allen Sprachen übliche Kennzeichnung von Versen, vielmehr ist der innere Rhythmus für alle Form von poetischer Dichtung viel wichtiger. Wenn man also die einzelnen Versfüsse wie Trochäus oder Jambus zusammenfasst, so ergeben sich zweckmäßige Einheiten. Der Trochäus wird im sogenannten Septanar zusammengefasst, ist also der sogenannte trochäische Langvers, er besteht aus 7 ½ Trochäen, ist also ein 15-silber.

Dám da dám da dám da dám da – dám da dám da dám da dám

Um diese lange Reihe zu unterbrechen, wird nach der 8 Silbe eine Zäsur eingeführt. Wenn man nun daraufhin das Marschlied der römischen Legionen, das auch ein wenig ironisch zu verstehen ist, betrachtet, so stellt man fest, tatsächlich nach der 8 Silbe folgt eine Unterbrechung, es folgen dann eben nur noch 7 Silben.

Dieser trochäische Langvers wurde zu einer Grundlage der sogenannten Hymne, deren Gebrauch sich aus der Antike über die Spätantike bis ins Christentum hinzieht. Der um ca. 600 nach Christus als Bischof von Poitiers gestorbene Venantius Fortunatus führt diesen trochäischen Langvers mit seiner durch den Marschvers auch volkstümlichen Tradition in die kirchliche Prozessionsliedtradition ein. Der von ihm gedichtete Kreuzhymnus lautet daher:

Pange lingua, gloriosi – lauream certaminis

Diese Art der Gestaltung eines Verses hat sich in vielen Bereichen weiterbewegt, die sich von dem christlich, sakralen Bereich weit entfernten. Er ertönt im französischen Volkslied, das luftig-bewegt meint:

La feuille sén vole, vole – la feuille sén vole au vent

Dieses Versmaß eignete sich – wie sich später zeigte – vortrefflich zu Gedichten, die im Zuhörer erhabene Gedanken aufkommen lassen sollten. So dichtete Schiller seine Ode an die Freude, die bekanntlich in den Zeiten der „gesamtdeutschen“ Olympiamannschaften als Ersatzhymne diente, im trochäischen Langvers:

Freude, schöner Götterfunke, - Tochter aus Elysium

Auch Goethe bediente sich dieses Versmaßes und zwar, wie könnte es anders sein, im „Faust II“, wo es im 3. Akt. 3. Szene (Zeile 9608) heißt:

Aber hüte Dich, zu fliegen, freier Flug ist Dir versagt

Aber auch im staatlichen Bereich, hier in dem Bereich, in dem das Verhältnis zwischen Staat und Untertan entscheidend ist, waren solch erhebende Momente gefragt. Durch Symbole einer Gemeinsamkeit zustrebend, sannen die alten Feudalstaaten darüber, wie sie eben durch Sinnbilder eine Identifikation der Untertanen mit dem Staatsgebilde erreichen könnten, ohne die Untertanen zu Citoyen machen zu müssen, wie dies der Gegner getan hatte, die revolutionäre Republique Francaise.

1797 dichtete daher – wohl im höheren Auftrag – der österreichische Theologe Leopold Haschka eine Hymne für den damaligen letzten römisch-deutschen Kaiser Franz II., der allerdings zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht wusste, dass er der letzte einer Reihe sein würde, die dann gerade etwas mehr als 1000 Jahre umfasste. Die französischen Revolutionstruppen waren durch das Eingreifen Napoleons zwar in ihrer Explosivkraft nicht gebändigt worden, sie trugen nur nicht mehr die eigentliche Revolution durch Europa, sondern ein neues, wenn auch sehr kurzfristiges imperiales Denken. Also musste als Gegenhymne zu Marseillaise eine Hymne gedichtet werden, die dem Kaisertum einen entsprechenden Gleichrang verlieh. Also dichtete Haschka:

Gott erhalte Franz den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz.

Als Josef Haydn kurze Zeit später während seiner Englandreise von der englischen Hymne „God safe king“ sehr beeindruckt war, schrieb er dazu die bekannte Melodie. Dabei hatte es sich dann 1806 ausgesungen, denn das mittelalterliche, römisch-deutsche Kaisertum wurde von Napoleon beseitigt. Der Herrscher Österreich nahm unter dem Namen Franz I. die österreichische Kaiserkrone an, und so wurde aus dem Personallied, also von dem Lied auf den römisch-deutschen Monarchen, ein Nationallied, das auch das Land mitberücksichtigte, wobei es sich weiterhin auf die Haydn´sche Melodie singen lassen musste, es hieß also:

Gott erhalte, Gott beschütze – unseren Kaiser, unser Land.

Aber nicht nur Zustimmung fand dieses Lied, ein später noch sehr bekannt werdender junger Dichter und Germanist, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, dichtete eine Parodie, die sich selbstverständlich nicht unmittelbar auf die Hymne beziehen durfte, sondern den Tyrann aus dem Gedicht Schillers „Die Bürgschaft“ als Scheinobjekt auf das Korn nahm:

Gott erhalte, Gott beschütze, - den Tyrannen Dionys

Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Einigung Deutschlands und Italiens, also zweier Länder, die man als „zu-spät-gekommene Nationen“ bezeichnen kann. Während andere Länder, wie Spanien, Frankreich und England schon in Jahrhunderten zuvor ungefähr ihre staatliche Einheit gefunden hatten, was auch jeweils mit vielen Kriegen und weiteren Auseinandersetzungen verbunden gewesen war, so waren sowohl Deutschland, als auch Italien zu Beginn des 19. Jahrhundert zerfallen in vielerlei Kleinstaaten.

Wenn man „deutsch“ zuerst einmal als sprachlichen Begriff fasst, so bleibt festzuhalten, dass deutsch damals in einem großen Teil Mitteleuropas gesprochen wurde, entweder, weil es die Sprache der Bevölkerung war (also große Teile Deutschlands und des jetzigen Österreichs) oder weil es die Sprache der Herrschenden war (so in weiten Teilen der Habsburger Monarchie oder der östlichen Länder Preußens).

Die nationale Einigkeitsbewegung ging auch weniger von dem regierenden Fürsten aus, die letztlich nur die Verringerung ihrer persönlichen Macht befürchten mussten, sondern von dem sich formierenden Bürgertum, das sich mit der Aufklärung, der Emanzipation vom Adel und der industriellen Entwicklung langsam herausbildete. Dass sich das Bürgertum dabei im Nationalismus glaubte verwirklichen zu können, ist zu schmerzlich, um nur ironisiert zu werden. Ein seiner geistig-poetischen Protagonisten, war August Heinrich Hoffmann, der sich in einem ironischen Akzent gegenüber der Aristokratie nach seinem Geburtsort Fallersleben „von Fallersleben“ nannte. Er hatte Volkslieder und Kinderlieder gesammelt und gedichtet, war sicherlich im tiefsten Innern revolutionär gesinnt, was dies im Zeitalter der sogenannten Karlsbader Beschlüsse auch bedeutet haben mag. Er hatte einen Lehrstuhl an der Universität in Breslau inne, wobei hier darauf hinzuweisen bleibt, dass Schlesien erst seit ungefähr 80 Jahren zu Preußen gehörte, bis dahin war es ein Teil Österreichs, erst die schlesischen Kriege und zum Schluss der 7-jährige Krieg hatten vermocht, dass Preußen nun die Hoheit über Schlesien hatte. Hoffmann veröffentlichte ein Buch, das „Unpolitische Lieder“ hieß, dies war aber für die preußische Verwaltung gleichwohl Grund dafür, ihn vom Lehrstuhl zu verjagen (1842). Ein Jahr zuvor war er auf der damals noch zum englischen Herrschaftsbereich gehörenden Insel Helgoland gewesen und hatte dort das uns allen bekannte Deutschland-Lied gedichtet, dessen erste Zeile lautet:

Deutschland, Deutschland über alles, Über alles in der Welt,
Wenn es stets zu Schutz und Trutze brüderlich zusammenhält.
Von der Maas bis an die Memel, Von der Etsch bis an den Belt,
Deutschland, Deutschland über alles, Über alles in der Welt.

Die zweite Stopfe dieses Liedes beginnt mit dem Vers:

Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang,

Die dritte Strophe, nun unsere offizielle Hymne, preist:

Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland.

Die Einigungsbewegung im 19. Jahrhundert war von der Frage geprägt, soll es die großdeutsche oder die kleindeutsche Lösung sein. Unter der großdeutschen Lösung verstand man ein Zusammenschluss aller deutschen Länder mit Einschluss Österreichs, das wiederum (ähnlich wie Preußen!) nichtdeutsche Herrschaftsgebiete umfasste oder aber die kleindeutsche Lösung, die nur die Länder in sich bergen sollte, die dann später auch 1871 das Deutsche Reich bildeten. Hinzu kam die Distanz der Herrschenden zur Einigungsbewegung, die gleichwohl durch den Beschluss der Nationalversammlung 1848 intensiviert wurde, mit dem nämlich dem damaligen preußischen König die deutsche Kaiserkrone angeboten wurde. Nach dem Selbstverständnis der damaligen Herrscher, den preußischen König mit eingeschlossen, war es eben unmöglich, ein „Bürgerkrone“ anzunehmen. Bismarck, der die Zeichen der Zeit erkannte und vorerst und vor allem sich als Diener der preußischen Krone betrachtete, hat dann die Einigungsbewegung „von oben“ betrieben, was mit der Kaiserproklamation im Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles endete. Damals war man sich noch nicht einmal darüber einig, sollte es nun der „Kaiser von Deutschland“, der „Kaiser in Deutschland“ oder der „Deutsche Kaiser“ sein; Bismarck, der – wie die Emser Depesche zeigte - ein Meister der Sprache war, akzeptierte die wunderbare Lösung: er empfahl, den Kaiser mit „Hoch lebe Kaiser Wilhelm!“ auszurufen.

Dieses kaiserliche Reich, dass also von 1871 bis 1918 bestand, hatte als Nationalhymne das von dem Dichter Harryes (1762 bis 1802) und von dem Komponisten Carey (1687 bis 1743) produzierte Lied:

Heil Dir im Siegerkranz,
Herrscher des Vaterlands!
Heil, Kaiser, dir!
Fühl in des Thrones Glanz
die hohe Wonne ganz
Liebling des Volks zu sein!
Heil, Kaiser, Dir!

Vergleicht man dieses Lied mit allen zuvor aufgeführten, so kommt man zum Ergebnis, hier handelt es sich nicht um einen trochäischen Langvers, es ist im Gegensatz zu allen(!) anderen nicht auf der Melodie von Haydn zu singen.

In den 47 Jahren des Bestehens dieses Kaiserreiches fand eine Entwicklung statt, die verständlich und unheilvoll zugleich war. Die Revolution von 1848 hatte bedeutende Köpfe erfasst, es seien nur genannt Mommsen oder Richard Wagner. Mommsen hat als republikanisch gesinnter Gelehrter sich gerne mit der römischen Republik beschäftigt, die Zeit der römischen Kaiser schätzte er nicht und hat seine Publikationen auch insoweit beschränkt. Nur ist es aber schwierig, in einem Staatsgebilde zu leben, das äußerlich das lebt, was man erstrebt hat, nämlich eine nationale Identität, während man sich selbst in politischer Distanz hält. Insoweit also war aufgrund der von oben erzwungenen Einigung die nationale Idee etwas, was nicht genuin aus dem Volke heraus sich umgesetzt hatte, es folgte eine aufgesetzte Art des nationalen Bewusstseins, das, was man Deutschtümelei nennt.

Das berühmte Lied der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben wurde nur noch in den Bereichen gesungen, die immer mehr in Nationalnostalgie versanken, obwohl sich von ihrem Ursprung her wirklich einmal Ursuppe der nationalen Bewegung gewesen waren, so beispielsweise in den Burschenschaften. Die Studenten, die im ersten Kriegsrausch 1914 fast unausgebildet eingezogen wurden, und letztlich auf den Schlachtfeldern an der Westfront, hier insbesondere in Langemarck, man kann nur sagen, „verheizt“ wurden, gingen mit diesem nationalen Lied in die Maschinengewehrsalven der englischen Berufssoldaten.

Die kriegerische Krise des Jahres 1918 war auch eine staatliche und gesellschaftliche. Die deutsche Sozialdemokratie wollte wieder einmal „Schlimmeres“ verhindern, beendete die Revolution von links und sah sich nun zwischen beiden Feuern. Ebert sehr darauf bedacht, wenigsten den Ansatz zu einer Einigung herzustellen, erwählte jenes Lied, das die Studenten in Langemarck gesungen hatten, zur Nationalhymne.

Die Weimarer Republik währte kurz, schon in ihr regten sich unterschiedliche Kräfte. Im offiziellen Liederbuch der deutschen Kriegsmarine wurde ein vermutlich von Heinrich Anacker, einem späteren Nationalsozialisten, umgetextete Version aufgenommen, die da lautet:

Deutschland, Deutschland über alles und im Unglück nun erst Recht

Das waren die gleichen reaktionären Kräfte, die die Nationalflagge mit „Schwarz-Rot-Senf“ diffamierten. So ist denn die Weimarer Republik auch daran zugrunde gegangen, dass keiner da war, der sich mit ihr identifizierte, es war die berühmte „Republik ohne Republikaner“. Obwohl nun im Nachhinein das Lied der Deutschen mit dem Dritten Reich stark in Verbindung gebracht worden ist, neige ich der Ansicht zu, dass der Missbrauch dieses Symbols sich in Grenzen hielt, zumal das Horst-Wessel-Lied relativ bald dem Deutschlandlied als Nationalhymne „gleichgeschaltet“ wurde, es hatte eben auch keinen hymnischen Klang. So lautet es denn:

Die Fahne hoch, die Reihen dicht geschlossen!
SA marschiert mit ruhig festem Schritt.
Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen,
Marschiern im Geist in unsern Reihen mit.

Nach 1945, also nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949, dachte der erste Bundespräsident Heuss daran, eine neue Nationalhymne wäre wohl angebracht, er bestellte bei dem Dichter Rudolf Alexander Schröder eine Nationalhymne, die jedoch nicht allgemein akzeptiert wurde. Sie lautet:

Land des Glaubens, deutsches Land,
Land der Väter und der Erben,
Uns im Leben und im Sterben
Haus und Herberg, Trost und Pfand,
Sei den Toten zum Gedächtnis,
Den Lebend'gen zum Vermächtnis,
Freudig vor der Welt bekannt,
Land des Glaubens, deutsches Land!

Konrad Adenauer war trotz seiner rheinisch-katholischen Abneigung gegen Berlin und das Reich in seiner preußisch-verkommenen Ausprägung durch die Nazis auf Einbeziehung aller Kräfte bedacht. Rasch versuchte er, mit den Juden ins Klare zu kommen, er versuchte auch, die nationalsozialistische Vergangenheit entweder auszugrenzen oder zu vereinnahmen, anders ist die Beschäftigung des Chefkommentators zu den Nürnberger Gesetzen, des von ihm zum Staatssekretär gemachten Mitarbeiters des Reichsinnenministeriums, Globke, nicht zu verstehen. In diesem Geiste der Vereinnahmung steht eben auch sein Bestreben, die Nationalhymne wieder zu beleben, wobei sich Heuss allerdings insoweit durchsetzen konnte, als dann wenigstens nicht die 1. Strophe mit ihren anmaßend erscheinenden Zeile zur offiziellen Nationalhymne gemacht wurde. Dies entstand auch – im Gegensatz zur Regelung über die Natinalflagge – nicht durch irgendeine gesetzliche oder gar verfassungsrechtliche Regelung, sondern durch einen Briefwechsel zwischen dem Bundeskanzler und Bundespräsident.

Die DDR, die ebenfalls 1949 gegründet worden war, griff auf ein Gedicht von Johannes R. Becher zurück, der später auch Kultusminister in der DDR war. Die Musik stammt von Hans Eisler, der bei Arnold Schönberg studiert und danach öfters mit Brecht zusammengearbeitet hatte. Der Text der gesamten Hymne lautet:

Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt,
laß uns dir zum Guten dienen, Deutschland, einig, Vaterland
Alte Not gilt es zu zwingen, und wir zwingen sie vereint,
denn es wird uns doch gelingen, daß die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.
Glück und Friede sei beschieden Deutschland, unserm Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden, reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen, schlagen wir des Volkes Feind.
Laßt das Licht des Friedens scheinen, daß nie eine Mutter mehr ihren Sohn be¬weint.
Laßt uns Pflügen, laßt uns bauen, lernt und schafft wie nie zuvor,
und der eignen Kraft vertrauend, steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben unsres Volks in dir vereint,
wirst du Deutschlands neues Leben, und die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.

Im Grunde genommen rennt die Melodie gegen den Text an. Betrachtet man sich den Text dieser Hymne, so kann man an ihr eigentlich nichts spezifisch Kommunistisches finden; ich halte sie für einen Text, auf den man sich 1989 ohne weiteres hätte einigen können. Interessant dabei ist, dass das Lied selbst wegen der Zeile „Deutschland, einig, Vaterland“ in der DDR bald zu großen Problemen führte: die Nationalhymne wurde zwar immer gespielt, durfte aber nicht gesungen werden. Als die Leipziger Demonstrationen 1998 immer mehr um sich griffen, wurde dementsprechend auch diese Zeile wieder von den Demonstranten gesungen.

Hinsichtlich der Melodie von Eisler ist noch anzumerken, dass der Schlagerkomponist Michael Jary ihm vorgeworfen hat, die Melodie stamme aus seinem Song vor der Kriege, der da lautet:

„Goodbye Johnny, goodbye Johnny, Du warst immer mein Freund“

Vielleicht hatte Eisler von Brecht auch jene berühmte „Laxheit in Dingen geistigen Eigentums“ übernommen. Ich möchte jedoch noch ein anderes Lied verweisen, die sogenannte Kinderhymne von Berthold Brecht, der damit ebenfalls eigentlich einen schönen Text geschaffen hat:

Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.
Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andren Völkern hin.
Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.
Und weil wir dieses Land verbessern
Lieben und beschirmen wir's
Und das Liebste mag's uns scheinen
So wie andern Völkern ihr's.

Dem Deutschlandlied sind zu Unrecht zwei Strophen vorgeworfen worden, die als anmaßend und überheblich gedeutet wurden:

Da ist zum einen die sogenannte Flussformel, die man jedoch als korrekt ansehen muss, wenn man sich vergegenwärtigt, dass 1841 zwischen Schleswig und Meran, zwischen Eupen und Tilsit deutsch gesprochen wurde. Zudem gibt es für diese Flussformel ein bestimmtes Vorbild, das damals mit Sicherheit Hoffmann von Fallersleben übernommen hat, nämlich die ähnliche Flussformel von Walther von der Vogelweide.

Als Walther von der Vogelweide als tingelnder Sänger und Dichter durch die süddeutschen Herrensitze zog, gab es einen Teil des deutschen Reiches, der nunmehr seit langer Zeit zu Frankreich gehörte, die Provence. In der Provence hatte sich die Troubadurdichtung entfaltet, wobei die Dichter, Komponisten und Sänger – also alles drei zugleich – der Ansicht waren, man sei besser als alles andere. Peire Vidal hat dementsprechend gedichtet:

Alamans trob deschauzitz e vilans
E quand negus si feing esser cortes,
Ira mortals cozens et enois es;
E lor parlars sembla lairars de cans

[Ich finde die Deutschen ungehobelt und bäurisch.
Wenn einer von ihnen sich bemüht, höfisch zu sein,
dann wird das eine tödliche Quälerei und ein Ärgernis.
Ihre Sprache ähnelt dem Kläffen der Hunde]

Dagegen hatte Walther von der Vogelweide sein sogenanntes Preislied gesetzt, in dem es unter anderem heißt:

Ich will unseren deutschen Frauen,
vor den Augen aller Welt,
ein Podest bis an den Himmel bauen,
gratis, ohne Geld!

Edelmut und Würde
ruhen sich und kennen keinen Preis.
Was dem Sänger schon genügen würde, wäre
ein kleiner Gruß, ein Gunsterweis. ...

Von der Elbe weit bis an den Rhein
und zurück noch mal bis Ungarn Land:
Könnten Frauen edler sein
als ich sie in diesen Breiten fand?

Wenn ich richtig sehe
- und ich bin nicht blind!
- Nein bei Gott, die deutschen Frauen sind
aus der Ferner anzusehen so schön wie aus der Nähe.
(in der Umdichtung von Rühmkorf)

Hier also finden wir schon einmal die „Fluss“formel, die bei Walther auf den damaligen Bereich der deutschen Zunft beschränkt war, bei von Fallersleben auf die vergrößerte Region. Weiterhin erschließt dieses Lied Walthers auch die etwas eigenartig erscheinende zweite Strophe des Liedes von Hoffmann. Zu bedenken ist auch, dass Brecht in seiner Kinderhymne eben auch die „Flussformel“ benutzte, angepasst allerdings an den heutigen Bereich deutscher Zunge.

Der andere Vorwurf ist jener, dass man eben „Deutschland über alles“ setzen würde, was je-doch auch in dieser Totalität unhistorisch ist. Der Österreicher Collin dichtete 1808 mit der Überschrift: Österreich über alles

Österreich über alles
wenn es nur will
ist immer Österreich über alles!
Wehrmänner, ruft mit frohem Schalle
es will! Es will! Ruft Österreich!

Das war damals nach der Totalniederlage Preußens im Jahre 1806, nach dem Beginn des antifranzösischen Widerstandes in Spanien (1808) eine der vielen Aufrufe zum Widerstand des noch nach der herrschenden Dynastie „Habsburger“ genannten Österreichs gegen Napoleon. Er endete bekanntlich nach dem verlustreichen Sieg von Erzherzog Karl bei Aspern, also der ersten Niederlage Napoleons in einer Schlacht im Mai 1809, dann jedoch mit der Niederwerfung Österreichs und dem Frieden von Schönbrunn. Während der alliierten Kriege gegen Napoleon in den Jahren 1813 bis 1815 (diese werden in Deutschland als die Freiheitskriege bezeichnet) verwendete man in einer Zeit viele patriotischer, antifranzösische Lieder. Der Bruder des Malers Runge, nämlich Johann Daniel Runge, übernahm diese Formulierung des Österreichers Collin, in dem er sie veränderte in „Deutschland über alles“.

Es gibt aber außer der Umdichtung Anackers noch andere Umgestaltungen des Deutschlandliedes, die geradezu peinlichste für uns Deutsche ist die von Georg Kreisler:

Bayern, Hessen, Schleswig-Holstein,
Bockwurst, Bier und Brüder Grimm,
Mandelbaum und Kohn und Goldstein
schlummern tief in Oswjecim.

Was so ein bißchen neckisch, die deutsche Gemütlichkeit angreifend, anfängt, endet mit Erschrecken, wenn man weiß, dass Oswjecim der polnische Name von Auschwitz ist.

Schnell eine harmlose Version, um das Grauen zu vertreiben! In der FAZ stand am 12. Mai 2006 diese Fassung mit der Überschrift „WM“ von Jochen Jung im Feuilleton:

Deutschland, Deutschland, übe alles,
übe alles für die Welt-
meisterschaft, den Fall des Falles,
damit Kahn das Leder hält.
Oder Lehmann. Oder Bählamm.
Oder Kant. Auf jeden Fall,
und trotz all dem blöden Schmählamm,
halten soll er halt den Ball.

Zurück und zum Ende: Wenn ich mir nun das Gesamtgedicht von Fallersleben betrachte, so neige ich der Ansicht zu, dass Heuß mit seiner Bitte um das Singen der dritten Strophe einen guten Schritt zur Sachlichkeit hin gemacht hat. Nicht das Land wird in seiner Rangstufe, in seiner Ausdehnung besungen, sondern abstrakt Begriffe wie Einigkeit, Recht, Freiheit, alles Begriffe, die man mit dem verbinden kann, was man modern mit Verfassungspatriotismus meint – ein anderer ist uns auch abhanden gekommen.

Photographien und Photographen des 19. Jahrhunderts I


Im 19. Jahrhundert wurde sukzessive die Fotografie erfunden. Dabei ergab sich zuerst einmal die Situation, dass man immer schärfere und größere Bilder aufnahm, sie aber nicht drucken konnte. Heute würden wir sagen, dass die Datenmenge der Fotos zu groß war, damals schaffte man nicht die Umsetzung der Zwischentöne. Daher waren die Aufnahmen über ca. 30 Jahre hinweg nur Vorlagen für zeichnerische Umsetzungen (… nach einer Photographie von ..).

Die Reisenden des 18. Jahrhunderts zeichneten das, was sie sich behalten wollten. Die Reisenden des 19. Jahrhunderts wollten natürlich auch ihre Erinnerungen materialisiert mit nach Hause nehmen, nach Verlust Unbeschwertheit beim Zeichnen konnten sie selbst aber noch nicht fotografieren. Daher entstand insbesondere im Mittelmeerraum die Gilde der Reisefotografen, die die berühmtesten Sehenswürdigkeiten aufnahmen und dann die Bilder an die Touristen verkauften. Die Bilder wurden, weil sie meist ähnlich groß waren, häufig zu Büchern gebunden. „Reise nach Ägypten“, „Reise durch Italien“ prägten die Buchbinder auf die mit Seidenstoff überzogenen Deckel.


Diese frühen Berufsfotografen saßen in Rom, Konstantinopel oder Kairo, die meisten ihrer Aufnahmen sind sachlich und nur wegen der Entstehungszeit bedeutsam. Allerdings sind die Bilder gemessen an dem, was heute so ins Netz gestellt wird, schon sehr präzise und umsichtig hergestellt. Die Größe der Aufnahmefläche (ca. 18 x 24 cm) gewährleistet eine vorzügliche Auflösung, die Objektive waren schon berechnet, die Balgenkameras erlaubten die Vermeidung von stürzenden Linien, die Reproduktionstechnik verlangte sorgsames Herstellen der Abzüge. Die Fähigkeit, mit einem Fingerdruck den Auslöser zu betätigen, scheint heute das einzige Kriterium zu sein, Bilder zu produzieren. Wenn die Leute wenigstens anschließend in die „Elektronische Dunkelkammer“ gingen, um die erhaschten Daten aufzuarbeiten.


Fasziniert bin ich meistens von den Bildern der Sebah-Familie, Pascal Sebah gelingt es, einer 3000 Jahre Steinstatue Leben einzuhauchen, Ramses kommt einem in Luxor gleichsam entgegen. Das Bild vom Kordon in Smyrna, der von Ausländern bewohnten Straße am Meer, atmet wie kaum eine andere Fotografie das 19. Jahrhundert. Die lange Belichtungszeit gibt dem Wasser im Hafen von Piräus eine seidige Oberfläche – ohne Graufilter.


Der wirtschaftliche Druck lastete aber auch schon auf den Fotografen. Was sollte man machen, wenn die Reisenden im Heiligen Land unbedingt eine „typische“ Aufnahme vom Jordan haben wollten? Einer aus der fotografierenden Bonfilsfamilie setzte daher aus Versatzstücken ein Jordanbild zusammen, ein gar grausliches Machwerk, lange vor Heartfield. Aber nicht nur im Netz, auch schon bei den Altvorderen ging nichts verloren. Und so ist die Ausgangsaufnahme, die tatsächlich einen langweiligen Fluss zeigt, erhalten geblieben; von ihr wurde die andere Flussseite und etwas Gestrüpp von vorne verwendet.

Jedoch muss zu Ehrenrettung der Bonfilsdynastie darauf hingewiesen werden, dass ihre Aufnahmen auch so korrekt befunden wurden, dass sie in archäologischen Büchern abgedruckt wurden.

Zu den Bildern aus dieser Zeit später mehr.

Donnerstag, 13. Januar 2011

Stellungnahme zu Eberhard Fiebig

Ein Freund ist ein Mensch, dem man vor einer längeren Abwesenheit Geld anvertraut, wobei man sicher ist, nach Rückkehr den Betrag mit Zins und Zinseszins zurückzuerhalten. Fiebig wird nach meiner Wiederkehr völlig einsichtig, nachvollziehbar und zu meiner Zustimmung erzählen, wie er seinerzeit für die Anfertigung des Kunstwerkes "Sokrates" Geld für Stahl brauchte und sich dabei mein Geld in Kunst verwandelte. Selbstverständlich werden wir zum Standort des Werkes fahren und ich werde glücklich sein, dass mein schäbiges und im Grunde von mir nicht dringend benötigtes Geld eine Metamorphose durchgemacht hat. Die Plastik "Sokrates" gehört jetzt dem Auftraggeber, der Erlös hat Fiebig verwenden müssen, um Miete und Finanzamt zu bezahlen, außerdem ist er damit nach Florenz gefahren. Werde ich da so kleinlich sein können, irgendwelches Geld zurückzufordern. Darum also ist Fiebig mein Freund.

Wenn ich Fiebig sechs Monate nicht gesprochen habe, so erkenne ich in der neuen Unterredung, dass wir beide über neuere Sachverhalte Ähnliches denken, manchmal sogar das Gleiche meinen. Die gemeinsame Lektüre der FAZ, zu der mich Fiebig bekehrte, verbildet uns beide kaum. Er hört mir bei sozio-ökonomischen Ausführungen geduldig zu, ich ihm bei politisch-kulturellen. Er erzählt mir seine Ausflüge in rechtliche oder gar prozessuale Bereiche, ich ihm meine realen oder gedanklichen Reisen in die griechische Antike oder in die Kunst. Ich verlasse mich auf sein Urteil, er auf das meinige. Darum also ist Fiebig mein Freund.

Wolfgang, ein ebenso langjähriger Fiebig-Tifosi wie ich, steht mit seiner neuen Freundin und mir bei einer Vernissage neuerer Fiebigarbeiten vor einer Stahlplastik. Die Freundin - wir kommen so alle in die Jahre, da müssen schon die Gefährtinnen erheblich jünger werden - behauptet in jugendlicher Unbekümmertheit, an einem bestimmten Punkt könne die Konstruktion nicht stimmen, das sei keine richtige Durchdringung der Formen, das sei gepfuscht. Wir haben zwar auch schon keine Schweißnähte in diesem Bereich entdeckt, weisen jedoch unter Berufung auf unsere intime Kenntnis des Gesamtwerkes einerseits und das uns bekannte handwerkliche Grundverständnis Fiebigs andererseits die fast impertinent erscheinende Unterstellung zurück. Als Fiebig kurz darauf vorbeikommt, rufen wir ihm zur Bestätigung in den Zeugenstand. Er aber sagt: "Haltet bloß das Maul, das ist vorgestern noch schnell geklebt worden!" Man kann eben jungen Damen nicht mehr so leicht etwas vormachen wie ehedem.

Anruf von Jörg, der die Erkenntnisse der Frankfurter Schule privatisiert hat und daher dazu nutzt, im Verhältnis zu seinem Alter immer jüngere Mädchen in sein Bett zu überreden: "Du, Pantalone, der Fiebig braucht uns!" Sofortiger Aufbruch. Fiebig lebte damals - nach der frankfurter Idylle - allein in einer Baracke in Koblenz. Sie hatte drei Räume: Der kleinste war sein Küchenwohnschlafklo, der nächstgrößere seine Werkstatt, der große wurde vollständig von einer Druckmaschine ausgefüllt. Diese Maschine war für die Voreigentümerin, eine Großdruckerei, nicht mehr leistungsfähig genug und steuerlich abgeschrieben. Fiebig hatte sie zu einem symbolischen Preis erworben. Zuerst war das Fundament gegossen worden, dann die Maschine mit einem Autokran vom Tieflader zum Fundament gehievt, danach war um das Ganze die Baracke zusammengesetzt worden. Die Druckmaschine sollte dazu dienen, durch die Verbreitung revolutionärer Texte die in den 68er Jahren in Gang gesetzte Bewegung zu einem mächtigen Strom werden zu lassen; außerdem schien dieses Wunderwerk der Mechanik geeignet, auch Fiebigs Lebenunterhalt zu gewährleisten. Noch heute habe ich die Musik im Ohr, die sie beim Anlaufen mit ihren geölten Zahnrädern, den Luftansaugdüsen, den Förderbändern verbreitete. So eine schöne Maschine wollte der Kapitalismus nicht mehr, also musste sie dazu verwendet werden, ihm zu beseitigen.

Aber nicht die Druckmaschine war Fiebigs Problem, sondern vier riesige Stelen aus Blech „Hommage an Schinkel“, die als Ensemble eine klassizistische Wirkung ausstrahlen sollten. Nur, dazu mussten sie noch aufgestellt werden. Der Autokran war längst weg, konnte auch nicht wieder geordert werden, weil Fiebig die letzte Rechnung noch nicht gezahlt hatte. Ich habe 18 Monate auf dem Bau gearbeitet, aber nie in meinem Leben so geschuftet, bis wir diese vier Stelen errichtet hatten. Mit reiner Körperkraft wurden die schweren, aber vor Erreichen der Endposition leicht verbiegbaren Blechgebilde aufgestemmt. Keiner durfte innehalten oder gar nachlassen, da dann sowohl die anderen Beiden als auch die Blechkörper gefährlich Schaden genommen hätten. Ich kam mir vor wie Sisyphos und Laokoon zugleich. Seitdem sehe ich Schinkel mit ganz anderen Augen.

Homer beschreibt nicht nur die Morgenröte als rosenfingerig, er widmet dem Gott der Schmiede seinen Namen für das Gelächter, das dieser bei seinen Mitgöttern verursachte. Die Gemahlin des Hephaistos trieb es sehr zum Unvergnügen des Ehemannes mit dem Gott des Krieges, Ares. Mehrmals! Ergo sann Hephaistos danach, das Ärgernis zu beenden. Er baute geschickt eine Apparatur aus Netzen, die just dann fest zuschnappte, als sich Aphrodite mit ihrem Liebhaber vergnügte, sie hielt das Paar in dieser Konstellation fest. Sodann lud Hephaistos den Olymp zur Besichtigung ein, der sich „köstlich“ amüsierte. Obwohl ich also die griechische Mythologie mehr schätze als die römische, neige ich doch dazu, Fiebig mit dem römischen Gott der Schmiede zu vergleichen, der eben seine Esse durch den Vulkan Vesuv rauchen lässt.

Wer sich in Fiebigs Nähe halten will, muss mindestens die gleiche Impertinenz haben wie er selbst. Da ein solches Maß an Chuzpe gepaart mit Energie und Vitalität selten ist, fliehen immer wieder Menschen aus seiner Umgebung. Ihr Fehler ist, dass sie zu Beginn der Beziehung zu Fiebig von ihm als dem wirklich großen Zampano so gefangen sind, dass sie unter Verleugnung ihrer Selbstbehauptung Widerstand gegen Fiebig erst garnicht aufbauen. In dem Maße, in dem sie sich ihm gegenüber als schwach erweisen, in dem Maße werden sie zuerst durch seine Sachautorität, später durch seine persönliche Autoität vereinnahmt, gleichsam geschluckt. Man muss schon selbst ein großer Hartnäcker sein, um ihm auf Dauer zu widerstehen. Dabei will auch Fiebig Parität herstellen, scheitert dabei an der Schwäche der Partner und seiner eigenen Stärke. Da Fiebig sein ganzes Dasein seiner Arbeit unterordnet, führt das zwangsläufig dazu, dass auch die von ihm bestimmte Umgebung auf sein Schaffen ausgerichtet ist. Da die Menschen seiner Umgebung jedoch nicht mit derartiger Kreativität und Schaffenskraft geschlagen sind wie Fiebig selbst, arbeiten sie ihm zu und werden so auf Dauer seine Sklaven und damit auch uninteressant für ihn. Nur unter Verletzung ihres Verhältnisses zu Fiebig gelingt es den Menschen, aus dieser Situation auszubrechen. Aber Fiebig wird weiser und gelassener, er ist auch lernfähig. Aber einem Vulkan beizubringen, er könne mit seiner Lava nicht alles bedecken und mit seinem Schlund nicht alles verschlingen, erfordert titanischen Mut und Kraft.

Da es so viel von der Welt zu begreifen und daher zu analysieren gibt, neigt Fiebig dazu, Sachverhalte vorauszusetzen, also keine Geschichten zu erzählen. Aber wenn er gut gelaunt ist, kann ihn mit Geschick dazu bringen, das zu erzählen, was man im Rheinischen „ne Verzell“ nennt, also Geschichten, die man kennt und immer wieder gerne hört. Eine dieser Geschichten handelt vom Aufbruch aus Wiesbaden nach Paris, vom Chemielaborantendasein zum Idol „Giacometti“. Eine weitere handelt von dem 14-jährigen Hitlerjungen Eberhard, der im Oderbruch gegen anstürmende Sowjetsoldaten helfen sollte, das Leben Hitlers zu verlängern. Dies verwandelte den Schüler einer faschistischen Schule umgehend in einen Antifaschisten. Ohne die väterliche Hilfe eines alten Landsers könnten wir heute wohl keine Plastiken von Fiebig bewundern. Aber meistens wehrt Fiebig das Ansinnen ab, Altes nochmals zu verbreiten, er meint zurecht, das seien „Schmonzetten“.

Nicht, dass Fiebig mit Lob knauserig wäre, aber in der Zeit, die auf Erden uns gegeben ist, trifft man auf mehr Tadelns- als auf Anerkennenwertes. So kommt einem Lob Fiebigs Seltenheitswert zu, es ist kostbar. Eine meiner Handlungen wird von ihm fast bei jedem Treffen gelobt: 1972 bahnte sich auf der Zeil eine Demo an, auf einem Blumenkübel stand ein zivil gekleideter Staatsdiener, der – der offiziösen Theorie seines Dienstherren vom Rädelsführer folgend – die Genossen filmte. En passant haute ich ihm wegen seiner Impertinenz die Beine weg, worauf er wortlos und ohne Gegenwehr in den Pflanzen versank. Nun weiß ich nicht, ob sich Fiebig mehr über die politisch-verfolgungstechnische Wirkung oder über den slapstickartigen Ablauf freute, jedenfalls bin ich immer wieder ganz stolz, wenn er mich noch nach Jahrzehnten dafür lobt.

Wenn ich für Fiebig in meiner beruflichen Sphäre tätig bin, so endet dies meist damit, dass er erklärt, ich sei sein Freund nicht mehr. Ob dass mehr an den aberwitzigen Vorstellungen Fiebigs über Recht begründet liegt (so meine ich) oder an meiner Schlamperei (so meint er), vermag ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls herrscht dann einige Monate Funkstille, bis einer den anderen wieder anspricht. Selten ist Fiebig nicht unzufrieden mit mir, dann sagt er aber nichts, vermutlich als Ausgleich für früheren Ärger.

Und so werden Fiebig und ich und ich und Fiebig alt, bedauern höchstens, dass die lebenslang gesammelten Erkenntnisse bei unserem Ableben (das Wort ist eine Mischung aus Leben und Abtritt – im bayrischen Sinne!) nicht vorher wie auf eine andere Festplatte überspielt werden kann, aber wir sollten bedenken, dass es geschenkte Erkenntnis nicht gibt.

Mittwoch, 12. Januar 2011

Das Bugholz und meine Liebe zu ihm

Es ist das Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts, einige Jahre mehr. Die Französische Revolution hat stattgefunden, Napoleon hat versucht, aus ihren Auswirkungen persönliches Kapital zu schlagen; er ist gescheitert.

Exkurs: Wieder einmal zeigt es sich, daß Revolutionen ungleich friedlicher, ungleich weniger tödlich sind als Kriege: Das Mehrfache an Toten der französischen Revolution und ihrer Bürgerkriege in Frankreich hat allein der Rußlandfeldzug Napoleon an Soldaten der Grand Armee gekostet, die ungezählten Russen nicht einmal berücksichtigt.

Um sich im imperialen Glanz zu sonnen, hatte Napoleon – wie alle legitimationssüchtigen Usurpatoren nach ihm – die römische Antike bemüht: das aus dem Spätbarock fließende Em pire bestimmte die Innenarchitektur im Kaiserreich der Franzosen. Die Landkarte Deutsch lands hatte sich als Folge der napoleonischen Kriege und Friedensschlüsse etwas entfärbt, gleichwohl verharrte das Land im Zustand der Kleinstaaterei.